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Timm Thalers Puppen

Timm Thalers Puppen

Titel: Timm Thalers Puppen
Autoren: James Krüss
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Alte mit der altmodischen Sonnenbrille stand auf dieser Brücke und grunzte: »Da sehnt sich unsereiner ein Leben lang nach einer Yacht, und andere Leute wissen ihren Wert gar nicht zu schätzen.«
    »Der Geldeswert von einer Yacht ist sicher ganz
    beträchtlich«, sagte ich und blieb einen Augenblick stehen.
    »Aber wie lange muß man raffen und sich placken, bis man das Geld für eine Yacht zusammenhat?«
    Während ich weiterging, brummte am anderen Ende der
    Brücke der Alte mit dem Schlapphut: »Hat man es aber beisammen, ist man frei.«
    »Oder auch nicht«, sagte ich, die Brücke verlassend, und fügte vergnügt hinzu: »Besitz ist Ballast.«
    Erst kurz vor dem Hotel tauchte der Puppenmeister selber wieder auf und fragte: »Sie ziehen also die Plackerei des Schreibens dem freien Leben auf dem Meere vor?«
    »Ich schreibe gern und bin gern auf dem Meer«, antwortete ich.
    »Und haben Sie vor, Herrn Thalers etwas dümmliche
    Geschichten aufzuschreiben?«
    »Weiß ich noch nicht, Baron.« Ich zuckte mit den Achseln.
    »Leben Sie wohl.« Ich ging in mein Hotel.
    Auf meinem Zimmer öffnete ich, da es ein wenig warm
    war, die Balkontür. Doch just als ich sie öffnete, rief’s unter dem Balkon mit scharfer Stimme: »Grandizzi! Wo sind Sie?«
    Da schloß ich die Balkontür wieder.
    Am nächsten Tag nahm ich bei Regen Abschied von
    Venedig. Der Canal Grande war vom Sturm erregt. Die
    Gondeln tanzten auf den Wellen. Ein Wassertaxi, in dem ich geschützt hinter Glas saß, brachte mich zum Bahnhof. Als die Paläste hinter Regenschleiern noch einmal an mir
    vorüberzogen, murmelte ich: »Lebwohl, Venezia! Lebwohl, du schöne, enge, tote, alte Welt, die noch so lustig lebt!«
    Bald darauf legte das Boot unter dem Bahnhof an der Mole an, und wenig später saß ich im Zug nach Verona.
    NACHSPIEL

    Es war im Zuge von Venedig nach Verona, in einem
    schnellen, leisen Zug mit weichen Polstern. Ich war, obwohl ich eigentlich nicht müde war, ein bißchen eingenickt, als ich einen schwachen Geruch nach Nelken in der Nase zu haben vermeinte. Die Augen öffnend – ich saß in Fahrtrichtung am Fenster – sah ich mir gegenüber einen Herrn sitzen, den ich nach einem kurzen Augenblick des Überlegens
    wiedererkannte. Es war Signore Grandizzi.
    »Recht guten Tag«, sagte er. »Ich hoffe, Sie hatten einen angenehmen Schlaf.«
    »Guten Tag, Signore Grandizzi«, sagte ich. »Ja, mein Schlaf war angenehm. Und Sie sind sicherlich in diesen Zug gekommen, um mir den Vorschlag zu machen, die kleinen Geschichten Timm Thalers…«
    »… sorgsam aufzuschreiben«, ergänzte Signore Grandizzi.
    »Aufzuschreiben?« fragte ich erstaunt. »Ich hatte gedacht, daß man mir heute zum fünften Mal den Vorschlag machen würde, etwas nicht aufzuschreiben, und daß man mir zum fünften Mal ein Haus und eine Yacht anbieten würde. Statt dessen fordern Sie mich auf, Timm Thalers Geschichten aufzuschreiben. Arbeiten Sie nicht mehr für den Baron?«
    »Ich bin es leid, für diesen Herrn zu leben«, antwortete mit müder Stimme Signore Grandizzi.
    »Aber was wird aus Ihnen ohne diesen Herrn?«
    »Ich weiß es nicht. Am liebsten möchte ich schlafen, lange schlafen. Ich bin so müde von dieser Hatz ohne Ziel.« Er machte seine Augen zu. Sein Kopf fiel auf die Brust. Ich dachte, daß er schliefe.
    Doch als sein ganzer Körper nun vornübersank, bemerkte ich – mein Herz setzte für eine kleine Weile aus –, daß er nicht schlief, um wieder zu erwachen, sondern daß er für immer eingeschlafen war.
    Signore Grandizzi war tot.
    Leise verließ ich mit dem Koffer das Abteil, und schon auf der nächsten Station sah ich von einem anderen Abteil aus, wie man auf einer Bahre einen mit einem weißen Tuch
    bedeckten Menschen zu einem Ambulanzwagen brachte.
    Wenig später war ich in Verona. Als ich hier auf dem Bahnhof stand und Ausschau hielt nach einem Kofferträger, ging hinter einer Gruppe schwatzender Leute sehr langsam der Baron vorüber, im Glencheckanzug, aber ohne Sonnenbrille.
    Er grüßte mich sehr bleichen Angesichts.
    Ich wollte wiedergrüßen; doch ich brachte es nicht über mich. Ich wandte mich von ihm ab.
    Auch meine Gedanken zog ich von ihm ab, als ich mit
    einem Kofferträger dem Ausgang zustrebte. Ich richtete sie jetzt auf die Glücklichen Inseln, über die ich – laut Kapitän Carlo vom Lido – in Timm Thalers kleinem Wohnort
    Övelgönne sichere Nachrichten einholen konnte.
    Was ich in Övelgönne dann erfuhr, auch über die
    Glücklichen Inseln,
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