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Tigermilch

Tigermilch

Titel: Tigermilch
Autoren: Stefanie de Velasco
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ich oben bei ihr klingle.
    Ich war bei Amir, sage ich, wollte wissen, ob er mitwill.
    Noura kommt mir im Flur entgegen, sie trägt ihre Krankenschwesterklamotten und drückt mir einen Kuss auf die Wange.
    Meine Kleine, willst du was essen, fragt sie.
    Was ist da unten los, fragt Jameelah.
    Dragan, sage ich, er hat Jasna einen Heiratsantrag gemacht. Jasna will jetzt ausziehen. Deswegen hat sie sich so mit Tarik gestritten. Jasna ist aus ihrem Zimmer raus, sie hat nur einen Bikini angehabt, sie ist singend durch die Wohnung getanzt.
    Jameelah lacht laut.
    Das ist nicht lustig, sagt Noura, die ganze Nacht hat es Geschrei gegeben, glaubst du, das ist ein gutes Zeichen? Ich bin so müde, ich habe überhaupt nicht geschlafen. Ich muss arbeiten, aber das ist solchen Leuten egal, sie denken nur an sich.
    Amir sagt, keiner redet mehr mit ihnen wegen der Sache mit Jasna, und Tarik sah auch traurig aus.
    Tarik, sagt Jameelah, der ist doch nur eifersüchtig.
    Wieso eifersüchtig?
    Auf Jasna. Weil er selbst nicht tanzen kann mit seinem kaputten Bein. Weil er niemanden hat, der ihm einen Bikini schenkt, weil er immer nur der große Bruder von allen ist. Teddy Dragon, der wird nie eine abbekommen, dieser Hässlon.
    Hör auf, sage ich, das ist gemein. Tarik ist kein Hässlon.
    Ist er wohl, sagt Jameelah.
    Aufhören, sagt Noura, ihr sollt euch da nicht einmischen, ich will, dass ihr euch da nicht einmischt, keiner von euch, habt ihr gehört?
    Aber Amir ist unser Freund, sagt Jameelah.
    Ich weiß, aber es gibt Sachen, da können Freunde nicht helfen, und dann ist es besser, sich nicht einzumischen.
    Mache ich doch gar nicht, sagt Jameelah, ich sage doch nur meine Meinung.
    Ich will auch nicht, dass du deine Meinung sagst, sagt Noura, ich will, dass ihr damit aufhört, sagt sie und schaut uns dabei an, als ob sie die Struck wäre.
    Ist ja schon gut, sagt Jameelah.

Wir müssen mal wieder nachsitzen. Jameelah hat in Ethik die ganze Zeit dazwischengerufen. Es ging um Weihnachten und darum, ob Jesus wirklich am 24. Dezember geboren wurde. Jameelah hat gesagt, dass im Winter vor dem Stall auf keinen Fall Schafe gestanden haben können, so wie es in der Bibel steht.
    In Bethlehem geht man im Winter Ski fahren, hat Jameelah gesagt, ganz ehrlich, wenn ich Gott wäre oder der Messias, dann wäre ich total beleidigt, wenn mein Geburtstag einfach an einem anderen Tag gefeiert werden würde.
    Die Struck hat gesagt, Jameelah soll nicht in diesem Ton mit ihr reden und die Kirche mal im Dorf lassen.
    Ich sehe das eben anders, hat Jameelah gesagt, ist doch nicht verboten, aber da hat die Struck erst richtig losgelegt.
    Wieso reden wir denn so kurz vor den Sommerferien über Weihnachten, habe ich irgendwann gefragt, aber das war dann auch wieder falsch, denn die Struck meinte, wir sollen jetzt still sein, sonst fliegen wir raus, sie hat keine Lust, über so etwas zu diskutieren. Die Struck hasst es, wenn man anfängt, mit ihr zu diskutieren.
    Für den Rest der Stunde waren wir still, wir haben uns gute O-Wörter ausgedacht, Rost statt Rest, Kotze statt Katze und ein bisschen Stadt Land Aids gespielt. Das hat die Struck aber am Ende gesehen, als sie unsere Hefte eingesammelt hat.
    Nachsitzen, hat sie dann gesagt, nachsitzen, alle beide.
    Nachsitzen, das heißt im Tiergarten Miniermottenlaub sammeln. Wir sammeln das Laub von den Kastanien, weil sich darauf die Puppen von der Miniermotte setzen. Die Puppen beißen sich wie kleine Pitbulls an den Blättern fest und vermehren sich wie irre. Dieses Jahr sind sie echt früh dran, und damit sich die Seuche nicht noch weiter ausbreitet, müssen wir das Laub aufsammeln. Dass das überhaupt nichts bringt, dass die ganze Stadt voller Miniermotten ist und dass es jedes Jahr nur noch mehr Motten und angefressene Blätter gibt, interessiert keinen.
    Ist eben eine Maßnahme, sagt Rainer immer, irgendwas muss man ja schließlich tun.
    Ist ein bisschen so wie mit uns Ausländern, sagt Jameelah, die wird man auch nicht mehr los.
    Was die Struck nicht weiß, ist, dass wir gern im Tiergarten sind. Es gibt einen Jungen dort, den ich gut finde. Er ist Gärtner und sitzt immer an dem kleinen Schuppen, wo die Müllsäcke und die Geräte zum Laubsammeln drin sind. Er grinst uns immer so süß an, wenn wir mal wieder ankommen, und manchmal riecht er nach Weleda, das mag ich.
    Na, was habt ihr heute wieder angestellt, fragt er.
    Gar nichts, ruft Jameelah, wir haben bloß Stadt Land Aids gespielt.
    Stadt Land Aids, was ist das
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