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Tigermilch

Tigermilch

Titel: Tigermilch
Autoren: Stefanie de Velasco
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haben sie vergessen, außer Amir. Ich bin schon lange nicht mehr auf meinen Baum geklettert, aber Amir ja, er sagt, in seiner Linde hängen immer noch die Wollfäden. Inzwischen sind sie ganz überwuchert von der Rinde, die über die Fäden hinweggewachsen ist, aber die Enden, die kann man immer noch sehen, das ist der Beweis dafür, dass wir das alles nicht geträumt haben, sagt Amir.
    Wenn ich zu Jameelah gehe, laufe ich immer über den Spielplatz. Der Spielplatz ist ziemlich groß, und genau in der Mitte steht ein großer Sandkasten. Jemand hat eine unsichtbare Linie durch den Spielplatz gezogen, die deutschen und russischen Kinder gehen nie auf die Rutsche, und die arabischen und bosnischen Kinder gehen nie auf die Schaukel. Als Jameelah und ich zum ersten Mal zusammen auf dem Spielplatz Rollschuh gefahren sind, gab es noch keine unsichtbaren Linien.
     
     
    Amir wohnt im selben Haus wie Jameelah, gleich hinterm Spielplatz nach vorn raus zur Straße. Vor der Haustür sehe ich Dragan stehen. Er raucht, was heißt, er raucht, er zieht an seiner Kippe, als würde er die vergewaltigen, dazwischen schleudert er mit schnalzendem Ton Spucke auf die Straße. Vor seinen Füßen hat sich ein dunkler Spuckesee gebildet. Dragan, der Name sagt schon alles, er klingt böse, so wie Drachen oder Dracula. Ich meine, es gibt viele Serben, die Dragan heißen, aber vielleicht hat Tarik ja auch recht, vielleicht sind alle Serben böse, keine Ahnung, der da ist es auf jeden Fall. Ich schlendere so unauffällig wie möglich zur Haustür und drücke fest auf Amirs Klingel.
    Du, sagt Dragan, aber ich beachte ihn gar nicht, der blöde Türöffner soll endlich summen.
    Mädchen, dreh dich um, wenn ich mit dir rede.
    Was denn, sage ich.
    Dragan wirft die runtergerauchte Kippe in den Spuckesee, es zischt, als sie untergeht, er grinst, er spuckt wieder, mir wird schlecht. Und in so was ist Jasna verliebt, ekelhaft.
    Gehst du zu Amir und Tarik, fragt er.
    Ich nicke.
    Sag Jasna, ich warte hier unten auf sie, egal wie lange, ich warte auf sie.
    Sehr romantisch, denke ich, da geht der Türöffner endlich.
     
     
    Amirs Wohnungstür steht offen, es riecht wie immer nach Kaffee und vollen Windeln.
    Hallo, rufe ich und überlege, ob ich mir die Schuhe ausziehen soll. Im Flur steht ein Wäscheständer, daran hängen Männerunterhosen, die müssen von Tarik sein.
    Hallo, sage ich wieder und gehe ins Wohnzimmer, dort sitzen Tarik und seine Mutter. Sie sagt nie Guten Tag, sie nickt immer nur und lächelt. Vielleicht liegt es daran, dass sie kein Wort Deutsch kann, wirklich kein Wort. Jameelah sagt, man kann sich noch nicht mal Zwiebeln oder Eier von ihr ausleihen, weil sie noch nicht mal Zwiebeln oder Eier versteht.
    Hallo Kleine, sagt Tarik.
    Wenn ich einen großen Bruder hätte, dann müsste er so aussehen wie Tarik. Genau die gleichen dunkelblauen Augen müsste er haben, die gleichen starken Schultern. Früher war ich furchtbar in Tarik verliebt. Ich habe den ganzen Tag Lambada gehört und mir vorgestellt, Tarik würde mit mir tanzen. In meiner Vorstellung hatte er obenrum nichts an und unten nur eine zerrissene Jeans. Das habe ich Jameelah mal erzählt, aber Jameelah hat sich halb totgelacht und gesagt, dass Tarik gar kein Lambada tanzen kann, weil er nur ein Bein hat, weil er das linke untere Bein als Kind im Krieg verloren hat. Stimmt schon, er zieht sein linkes Bein immer ein bisschen nach, aber bis heute kann ich nicht wirklich glauben, dass das wahr ist, ich meine, er steht doch immer so fest und breitbeinig auf dem Boden.
    Tarik kann echt lustig sein, da kann Jameelah sagen, was sie will. Nur weil sie es nie mitbekommt, heißt es noch lange nicht, dass er es nicht ist. Er kann zum Beispiel sehr gut MC Hammer nachmachen. Vielleicht macht er es für Jameelah einfach nicht, weil er sowieso weiß, dass sie ihn doof findet, ist doch logisch. Er kann aber auch ganz streng sein, und genau das finde ich gut. Hinten auf Tariks Jacke steht Teddy Dragon, das bringt es eigentlich auf den Punkt. Ich glaube, er will auf mich aufpassen, er will auch auf Jameelah aufpassen, auf Jasna und auf Amir, auf uns alle eben. Jameelah findet das natürlich scheiße.
    Ich brauche niemanden, der auf mich aufpasst, sagt sie, Teddy Dragon, was soll das überhaupt sein, hast du mal darüber nachgedacht, wie so ein Tier aussehen würde?
    Jameelah sagt, Tarik war nur so lange gut, wie er noch die Bravo gelesen und Amir sie für uns von ihm geklaut hat, und das ist echt
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