Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Tigermilch

Tigermilch

Titel: Tigermilch
Autoren: Stefanie de Velasco
Vom Netzwerk:
von Anna-Lena.
    Da bist du ja, sagt sie und küsst Lukas auf die Wange. Anna-Lena, die nach Blumenparfüm riecht und Lieb dich, mein Engel auf unsere Rucksäcke schreibt, es aber gar nicht so meint. Man darf nicht Ich liebe dich sagen, wenn man es eigentlich nicht meint, das ist verboten.
    Hinter ihr tauchen Nico, Nadja und Tobi auf.
    Bahnparty, schreit Nico, hebt die Hände in die Luft und rennt über den Bahnhofsvorplatz zur S-Bahn. Ich kann die Bierflaschen in seinem Rucksack klirren hören. Wir laufen hinter den anderen her zur S-Bahn. Wie hypnotisiert starrt Jameelah auf Lukas, der nur ein paar Schritte vor uns mit Anna-Lena rumalbert.
    Sie liebt ihn, flüstert Jameelah.
    Ja, flüstere ich, aber er ist ihr Cousin.
    Na und, sagt Jameelah, ist doch nicht verboten.
    Trotzdem, das macht man nicht, sage ich und nehme ihre Hand, eiskalt ist die.
    Das Tier aus meinem Traum, sagt Jameelah, das hat er für mich gefangen, er hat es mir gezeigt, und dann haben wir uns geküsst, er hat es für mich gefangen und nicht für die da.
    Ich weiß, sage ich.

Mama liegt eigentlich immer auf dem Sofa. Meistens hat sie die Augen zu, aber wenn ich nach Hause komme, dann schlägt sie sie auch manchmal auf und fragt, wo warst du. Wenn sie die Augen aufschlägt, sieht sie immer furchtbar müde aus, so als wäre sie von weit her gereist und dabei nur zufällig auf dem Sofa gelandet, hier bei uns im Wohnzimmer. Eine Antwort will sie, glaube ich, gar nicht haben. Ich hingegen wüsste schon gern, wo sie war, wo sie hinter ihren geschlossenen Augen immer hinreist, all die Stunden, die sie allein auf dem Sofa liegt. Mamas Sofa ist eine Insel, auf der sie lebt. Und obwohl diese Insel mitten in unserem Wohnzimmer steht, versperrt dicker Nebel die Sicht. An Mamas Insel kann man nicht anlegen.
    In letzter Zeit liegt Jessi immer öfter bei Mama auf dem Sofa, sie liegt neben ihr, das Gesicht in Mamas Brust verborgen, regungslos, als wäre sie im Koma. Vielleicht ist Mamas Krankheit ansteckend, dabei ist Mama gar nicht wirklich krank, aber irgendwie denke ich das immer, weil es eben so aussieht. Ich weiß, dass Jessi säuft. Über dem Schnuckelschrank, da wo die Süßigkeiten drin sind, ist der Spiegelschrank. Jessi geht da dran und trinkt den Eierlikör. Wenn Mama das wüsste, hätte Jessi gleich eine hängen, wetten. Ich weiß es nur, weil ich letzte Woche von der Küche aus das Klicken vom Spiegelschrank gehört habe. Den Schnuckelschrank kann man einfach so aufmachen, aber am Spiegelschrank ist ein Magnet, der klickt, deswegen. Ich weiß es außerdem, weil überall an Mamas JOY -Gläsern Eierlikör klebt. Jessi trinkt den Eierlikör aus den staubigen JOY -Gläsern und stellt sie dann einfach zurück in die Vitrine über dem Spiegelschrank, als wäre nichts gewesen, und am Nachmittag, da liegt sie wie tot in ihrem Bett. Ihr ganzes Zimmer stinkt nach Alkohol, nach Alkohol und kleinen Mädchen, wie in der Turnhalle, wenn die fünfte Klasse vor uns Sport gehabt hat.
    Ich gehe nur einmal die Woche zu Mama ans Sofa und kämme ihr die Haare. Rainer hat extra dafür eine teure Bürste beim Spinnrad gekauft, ganz aus Bio, hat Mama gesagt, soll sie sein. Manchmal weint Mama, während ich ihr die Haare kämme, aber ich tue so, als ob ich das nicht merke, ich glaube, das ist besser so. Jameelahs Mutter sagt, einen Schlafenden kann man aufwecken, aber jemanden, der nur so tut, als ob er schläft, den kriegt man niemals wach.
     
     
    Wenn ich in meinem Zimmer aus dem Fenster schaue, dann sehe ich den Spielplatz, auf dem ich schon als Kind gespielt habe. Wir wohnen schon immer hier, genauso wie Nico, der wohnt gleich gegenüber, auf derselben Etage. Auf dem Bürgersteig vor unserem Haus habe ich Laufen und Fahrradfahren gelernt. Auf dem sandigen Weg, der über den Spielplatz auf die Straße führt, in der Jameelah wohnt, bin ich Rollschuh gefahren. Jameelah kam von der anderen Seite, sie hatte auch Rollschuhe, die gleichen wie ich, nur in Rot. Ich habe ihren linken Roten bekommen und sie dafür meinen linken Blauen. Wir sind Rollschuh gelaufen, so lange, bis unsere Kugellager vom Sand versaut waren. Dann sind wir auf die alten Eichen geklettert und haben Wollfäden in die Äste gebunden. Jedem gehörte eine Eiche, nein, stimmt nicht, Amir gehörte die Linde, die in der Mitte zwischen den Eichen steht. Nico durfte mit auf meinen Baum, ich durfte mit auf Jameelahs Baum, aber auf Amirs Linde durfte niemand, außer Amir. Die Bäume hatten alle Namen, aber wir
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher