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Tigermilch

Tigermilch

Titel: Tigermilch
Autoren: Stefanie de Velasco
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Jameelah.
    Das ist Naglfar, sagt Apollo, das Schiff, das aus menschlichen Nägeln gebaut werden muss, damit das Ende der Welt endlich kommen kann.
    Und deswegen könnt ihr jetzt nicht einfach so durch, sagt Aslagon und schaut uns aus seinen Kajalaugen an.
    Warum nicht?
    Jeder, der durch die Unterführung will, muss sich von Apollo die Nägel schneiden lassen, sagt er, damit wir das Schiff bauen können, damit das Ende der Welt endlich kommt.
    Wieso soll denn das Ende der Welt überhaupt kommen, fragt Jameelah.
    Genau, sagt Nadja, vielleicht wollen wir das ja gar nicht.
    Gottes Welt ist verfault, sagt Apollo und hält uns einen verrosteten Nagelklipper entgegen, deswegen.
    Weiß doch jeder, sagt Aslagon, schüttelt den Kopf und tippt sich an die Stirn.
    Nadja verdreht die Augen.
    Scheiß drauf, sagt sie und schneidet uns allen ein Stück Fingernagel ab.
    Die Wände in der Unterführung sind von oben bis unten bemalt. Die schlechten Graffitis sind von Tobi. Tobi malt Animaux, das heißt Tiere auf Französisch. Für einen Malernamen ist Animaux zu lang, hat Nico mir mal erklärt, es sind die zwei letzten Buchstaben, die es zu lang machen, zu lang zum Abhauen. Vielleicht ist Tobi deswegen schon so oft erwischt worden, und vielleicht sieht man deswegen so oft Anima in der Stadt.
    Die Guten sind von Nico. Sad, das ist sein Malername, so wie traurig auf Englisch. Manchmal schreibt er auch Sadist. Er malt es in ganz weichen, lustig aussehenden Buchstaben. Mich tröstet es immer, wenn ich im Bus sitze, durch die Stadt fahre und ein Sad von Nico an irgendeiner Wand sehe. Es ist so, wie mit dem Stein im Schuh, für den einen Moment, in dem der Bus an einem Sad von Nico vorbeifährt, bin ich einfach nicht alleine.
    Am anderen Ende der Unterführung stehen Tobi und Nico, sie rauchen. Nico lehnt an der Wand. Er ist groß, eigentlich ist alles groß an ihm, seine Hände, seine blauen Augen, sein Mund, seine Füße, die immer in denselben Turnschuhen stecken und die er genauso regelmäßig wie seine Klamotten in die Wäsche stopft und zum Trocknen auf den Wäscheständer legt. Sogar sein kahl rasierter Schädel ist groß, nur der Kinderkoffer, den er immer mit sich herumträgt, ist klein. Er ist aus Plastik, bunt gestreift, und vorne drauf ist eine Uhr, die geht nie richtig, Batterie leer. Ich hatte mal den gleichen Koffer, da waren Nico und ich noch Kinder und auf dem Rummel. Die Koffer standen auf dem obersten Regal vom Losbudenstand. Wir wollten unbedingt einen Koffer haben, jeder einen, aber unsere Mütter wollten weiter. Nico und ich haben geweint, da hat Nicos Vater Lose gekauft, so viele wie kein anderer. Nicos Mutter hat geschimpft, aber der Mann von der Losbude hat gelacht, er hat Nicos Vater ein Los nach dem anderen hingehalten, er hat sie wie kleine Mehlwürmer aus dem durchsichtigen Behälter gepult und sie Nicos Vater gereicht, bis der genug Punkte für zwei von den Koffern zusammenhatte.
    Dafür ist Geld da, oder wie, hat Nicos Mutter gesagt und auf die bunten Papierfetzen am Boden gezeigt, da war sie gerade mit Pepi schwanger, aber in Wirklichkeit war sie nur schlecht gelaunt, weil Nicos Vater total voll war und Mama und Papa auch und sie selbst nichts trinken durfte.
    Ich find das auch nicht gut, hat Mama zu Papa gesagt, jetzt sag doch was, aber Papa hat nur die Augen verdreht.
    Seitdem schleppt Nico diesen Koffer mit sich rum. Früher hat er seine Matchboxautos darin herumgetragen, immer zum Spielplatz und wieder nach Hause, heute trägt er sein Ott darin herum, und oben auf dem Plastik von der Uhr macht er Mischung, mischt da Tabak und sein Ott zusammen. Er nimmt den Koffer sogar mit zu Schulze-Sievert, wo er seine Ausbildung macht. Alle machen Witze über Nico und seinen Kinderkoffer, aber Nico lacht dann nur mit, ihm ist das egal, sein Koffer ist sein Koffer. Mein Koffer ist noch im selben Sommer Schrott gegangen. Dragan hat ihn gegen die Garagen geschleudert, nur weil ich behauptet habe, die Uhr auf dem Koffer wäre stoßfest.
    Na, sagt Nico, habt ihr euch von Aslagon die Fingernägel schneiden lassen?
    Ich nicke.
    Der Arme, sagt Jameelah und greift nach dem Joint.
    Warum?
    Na hör mal, sagt sie, ich finde, Gottes Welt ist verfault, ist so ziemlich der traurigste Satz, den ich seit Langem gehört habe.
    Nico spuckt auf den Boden.
    Traurig vielleicht schon, sagt er und schaut rauf in den wolkigen Himmel, traurig, aber wahr.
     
     
    Am Planet ist auf einmal ganz schön was los. Jede Menge Skater fahren am
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