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Tigermilch

Tigermilch

Titel: Tigermilch
Autoren: Stefanie de Velasco
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Springbrunnen mit ihren Boards entlang, klatschen, johlen, fallen hin und stehen wieder auf. Sieht aus wie das Bild, das der Wittner uns mal in Physik gezeigt hat, der Planet ist der Atomkern, und die Skater sind kleine Elektronen, die wie irre um den Kern kreisen, daraus ist alles gebaut, das ganze Universum, sagt der Wittner.
    Es fängt ganz leicht an zu regnen. Wir setzen uns an den Springbrunnen. Kathi und Laura schnorren aus Spaß ein bisschen herum. Die fast leere Tigermilch steht zwischen Jameelah und mir. Ich ziehe meine Knie an, Sommerregentropfen fallen auf uns herab, versickern im ausgetrockneten Beton und hinterlassen diesen seltsamen Geruch.
    Ich bin ganz schön voll, flüstere ich.
    Jameelah nickt.
    Ich auch, ich war schon bei dem Typen total voll, sagt sie, dann packt sie sich in den Schuh und steckt mir meinen Fünfziger zu.
    Aber war ganz schön witzig heute, oder?
    Ja, sage ich und stecke den Schein ein, war aber auch ganz schön kross.
    Ich schaue zum Himmel, der schaut ganz gelbstichig auf uns herab, so als wollte er uns drohen.
    Guck mal, sage ich, sieht wirklich aus wie das Ende der Welt.
    Sieht aus, als ob das Schiff fertig ist, sagt Jameelah.
    Dann ging das aber echt schnell.
    Kann ja sein. Vielleicht ist Gottes Welt wirklich verfault. Vielleicht gibt es Gott, und vielleicht ist seine Welt auch wirklich verfault. Ich würde das sofort glauben.
    Wieso, ich denke, das ist das Traurigste, das du jemals gehört hast?
    Ja, aber traurig ist wirklich meistens wahr, sagt Jameelah, da hat Nico recht.
    Sie schließt die Augen, öffnet den Mund und fängt die dicken Regentropfen auf. Hinterm S-Bahnhof zuckt ein Blitz, es donnert, und Sekunden später fängt es wie im Urwald an zu regnen. Laura und Kathi kommen rübergerannt und schnappen sich ihre Rucksäcke, die neben unseren liegen.
    Scheißklimawandel, schreit Laura, wir fassen uns an den Händen und flüchten kreischend unter das Dach der Arkaden, aber als wir dort ankommen, sind wir schon klitschnass. Jameelah legt ihre Hand auf meine Schulter und zieht sich die nassen Strümpfe, die ihr an den Beinen kleben, runter. Ihre Hand ist ganz warm, ich schließe die Augen, und ich höre dem Regen zu, wie er vom Himmel fällt, wie er sich in die großen Pfützen stürzt und vom Arkadendach tropft, wie er in meinen Schuh sickert und sich zum Stein gesellt. Ich bin müde und besoffen, denke ich, und dass ich noch einkaufen gehen muss, Brot, Leberwurst, Nudeln, Ketchup, doch dann krallen sich Jameelahs lange Fingernägel in meine Schulter. Ich öffne die Augen und will gerade protestieren, da sehe ich ihn, wie er zu uns rübergelaufen kommt. Seine dunklen Haare sind nass, an seinen langen Wimpern hängen kleine Tropfen, dahinter die dunklen Bambiaugen und das blasse Gesicht, so blass, als hätte er irgendeine schlimme vornehme Krankheit. Das ist Lukas. In der rechten Hand hält er eine Flasche Wein, aus seiner Jackentasche schaut ein zerfleddertes Buch hervor, und das ist nur eine von den hunderttausend Millionen Sachen, die Jameelah so an ihm liebt. Ich kann das überhaupt nicht verstehen, jemand, der so viel liest, keine Ahnung, was daran so toll sein soll, finde ich irgendwie nicht normal.
    Hallo, sagt er und starrt Jameelah an, wie sie da steht, barfuß mit ihren nassen Strümpfen in der Hand. Ich muss grinsen und denke, entweder er findet sie wundervoll oder er findet sie furchtbar, aber das ist immer so mit Jameelah. Wie in Zeitlupe stopft sie die Strümpfe in ihren Rucksack, sachte, jede Bewegung überlegt, wie eine Jägerin im Wald, so nach dem Motto, man darf das Wild nicht verschrecken. Sie schlüpft zurück in ihre roten Chucks und lächelt.
    Ich muss dir was erzählen, sagt sie und schaut Lukas an, ich hab geträumt von dir, ich hab geträumt, du hättest ein ganz seltsames Tier gefangen, ein durchsichtiges mit zwei Köpfen. Es war eine Mischung aus einem Drachen und einem Känguru, aber es lebte im Wasser, und es konnte schnurren wie ein Katze.
    Lukas lacht.
    Das musst du aufschreiben, sagt er, das klingt richtig poetisch.
    Hab ich schon längst, sagt Jameelah.
    Irgendwie ist er doch ganz hübsch, denke ich, zumindest, wenn Jameelah ihm was erzählt, aber vielleicht sind wir einfach alle schön, wenn Jameelah uns was erzählt. Lukas will gerade was sagen, da legen sich von hinten zwei Hände vor seine Bambiaugen. Das sind Anna-Lenas Hände, Anna-Lena mit den immer frisch gewaschenen Haaren, nur frisch gewaschene Haare können so fliegen wie die
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