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Tigermilch

Tigermilch

Titel: Tigermilch
Autoren: Stefanie de Velasco
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Nagellack, eigentlich alles, wo keins von diesen Dingern dran ist, die piepsen.
    Wir trinken abwechselnd aus dem Müllermilchbecher, und dann fahren wir zur Kurfürsten. Die Bahn schaukelt uns über ein Stahlgerüst quer durch die Stadt, und Jameelah fängt wieder an, sich Geschichten auszudenken. Stell dir vor, sagt sie und schaut mich aus ihren riesigen dunklen Augen an, stell es dir einfach nur mal vor. Es klingt so wie, es war einmal, es ist aber nicht, es war einmal, es ist, so könnte es mal sein. Ich schließe meine Augen, alles dreht sich ein bisschen. Ich stelle mir vor, die Bahn ist ein fliegender Teppich, und gleich wird Jameelah anfangen, irgendwas zu erzählen.
     
     
    Stell dir vor, mit 17 oder so, wenn deine Brüste, wenn die nicht mehr weiterwachsen, stell dir vor, dass die sich dann für ein paar Tage im Monat mit Tigermilch füllen. Was meinst du, wie die Typen darauf abfahren würden.
    Hör auf, Jameelah, du spinnst.
    Jameelah kichert laut.
    Doch, weißt du, so wie dir irgendwann Brüste wachsen, so wie du anfängst, deine Tage zu bekommen, kriegt man einmal im Monat Tigermilchtage.
    Tigermilchtage?
    Tigermilchtage und Nächte, Nage und Tächte.
    Jameelah liebt es, Buchstaben zu vertauschen, Wörterknacken nennt sie das. Aus Luft macht sie Lust, aus Nacht nackt, Lustballons, Nacktschicht, Lustschutzkeller mit Nacktwächtern. Wir sprechen außerdem O-Sprache, Geld ist Gold, mit Filter drehen gibts nicht, nur mit Folter drohen.
    Ich dachte früher immer, Teenager sind Leute, die Tee nagen, du auch?
    Jameelah lacht und schüttelt den Kopf, dabei klirren ihre langen Ohrringe.
    Was heißt Teenager auf Arabisch?
    Weiß ich doch nicht, sagt Jameelah, ist doch total egal. Wie findest du die Idee, ein paar Tage Tigermilch, geschenkt von der Natur, von Gott, von irgendeinem Sexgott zum Eisprungfeiern.
    Du bist echt ganz schön voll. Aber ich weiß nicht, das ganze Leben ein Mal im Monat, ist das nicht anstrengend?
    Jameelah kneift die Augen zusammen und überlegt. Dann eben nur, bis du ein Kind kriegst. Nur bis dahin, das hat die Natur so eingerichtet, weil dann hast du ja einen Mann.
    Ich nicke, Jameelah schaut mich verschwörerisch an. Dann darf man aber nie Kinder kriegen, weil dann hört das ja auf.
    In Deutschland kriegt eh keiner mehr Kinder, hab ich im Fenster gelesen.
    Im Irak schon.
    Du bist aber nicht im Irak.
    Aber vielleicht bald, in drei Monaten.
    Wieso das denn?
    Weiß nicht, meine Mutter hat so einen Brief bekommen, von der Ausländerbehörde.
    Kriegt ihr doch ständig.
    Ja, aber diesmal war was anders.
    Wieso?
    Andere Farbe.
    Ich muss lachen.
    Blauer Brief oder was.
    Wütend schaut Jameelah mich an.
    Das ist nicht lustig. Vielleicht schieben die uns ab oder so was.
    Abschieben. Wieso?
    Jameelah schaut auf den Boden und knistert mit dem Müllermilchbecher rum.
    Keine Ahnung. Meine Mutter macht sich Sorgen.
    Wie soll denn das einfach so gehen, sage ich.
    Du hast echt keine Ahnung, sagt Jameelah, das kann ganz schnell gehen.
    Aber du kannst doch gar kein Arabisch, sage ich.
    Doch, verstehen schon. Aber selbst wenn nicht, das ist denen total egal.
    Und jetzt?
    Jetzt müssen wir abwarten, sagt Jameelah, in den nächsten drei Monaten sagen die irgendwas Bescheid. Dabei wollte meine Mutter eigentlich versuchen, uns einbürgern zu lassen.
    Einbürgern, du meinst richtig deutsch werden?
    Ja, genau.
    Ist das schwer?
    Ziemlich. Du musst lauter Sachen erfüllen, und du musst einen Test machen. Wenn du den bestehst, dann kriegst du einen richtigen deutschen Ausweis und so, nicht mehr diese blöde Scheckkarte mit Aufenthalt, nicht mehr ständig zum Amt rennen und Aufenthalt draufladen und so. Mann, wenn das mal passiert, wenn ich mal richtige Deutsche werde, dann mache ich eine große Party.
    Finde ich gut, sage ich.
    Ja, sagt Jameelah, aber ich mache nicht irgendeine Party. Ich mache eine Kartoffelparty.
    Eine was?
    Kartoffelparty. Haben Orkhan und Tayfun auch gemacht, wie in diesem einen Film, weißt du. Bei der gibt es nur Sachen aus Kartoffeln zu essen.
    Ich schaue aus dem Fenster und denke, drei Monate. Ich will nicht denken, ich will nicht dran denken, was wäre, wenn Jameelah nicht mehr wäre, deswegen greife ich schnell nach ihrer Hand und drücke sie fest.
    Alles wird immer anders, obwohl man gar nicht will, sagt Jameelah.
    Nein, sage ich, alles bleibt immer gleich, wenn wir wollen. Wenn man erwachsen ist, dann kann immer alles so bleiben, wie man will. Das kann man als Erwachsener so bestimmen,
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