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Tigerlilie - Paul, I: Tigerlilie

Tigerlilie - Paul, I: Tigerlilie

Titel: Tigerlilie - Paul, I: Tigerlilie
Autoren: Ivy Paul
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monogam, qíngfù . Die Konkubinen kannst du getrost als weibliche Hausgäste betrachten.“
    Anna goss sich Tee nach. „Wirst du heute außer Haus sein?“
    Christopher schob ihr die Tasse hin, damit die seine ebenfalls gefüllt wurde.
    „Ich werde zum Hafen hinunter müssen. Das Ganze dauert bis in die Abendstunden hinein.“
    Sie nickte. „Natürlich.“
    Christopher sah sie entschuldigend an. „Es tut mir leid, dass ich so wenig Zeit für dich habe.“
    Anna zuckte mit den Schultern.
     
    Der Markt war eine aufregende Angelegenheit. Obwohl die Enttäuschung über Christophers Abwesenheit Annas Vorfreude gedämpft hatte, war sie nun völlig fasziniert von der Andersartigkeit Schanghais. Anna und Jiao saßen zusammen in einer Doppelsänfte und hatten so eine besonders gute Aussicht auf den Marktplatz.
    Auch andere chinesische Ehefrauen oder Konkubinen waren unterwegs.
    Die Sänftenträger bewegten sich geübt durch die Gassen und Menschenmengen.
    Anna schob den Vorhang ein Stück beiseite, um einen Blick auf das Treiben rundherum zu haben. Jiao linste an ihr vorbei durch den Spalt und hielt Annas Hand. Jiaos kleine Hand war weich und warm, und nachdem Anna das erste Erstaunen überwunden hatte, war es ihr auch nicht mehr unangenehm.
    Sie starrte nach draußen und sog die Farben, Gerüche und Stimmen in sich auf, die um sie herum tobten.
    Verschiedene Händler boten Hühner, Enten und Gänse an, die zum Teil zu mehreren in engen Käfigen steckten oder aber über den Köpfen der Verkäufer an Stangen festgebunden waren. Manche Stände verkauften Bänder und Stoffe, andere Fische, Tonwaren oder Gebäck. Es gab Marktleute, die Leckereien feilboten, schmutzige Männer, die lautstark ihre wie auch immer gearteten Dienste anboten und Straßenmädchen, die Glöckchen an ihren Röcken hängen hatten. Kleine Kinder liefen unbeaufsichtigt umher. Überall herrschte wildes Treiben und Lärmen. Die Luft war durchzogen von Schweiß, Tierausdünstungen, Essen und dem Geruch nach Kräutern und Gewürzen.
    Anna seufzte fasziniert. Es war laut und chaotisch und bunt. So völlig anders, als sie es von London gewohnt war.
    Bao war mit einem Mal neben der Sänfte aufgetaucht und hielt Anna in Papier gewickeltes Gebäck entgegen. „Frittierte Hefeteigbrötchen.“
    Anna nahm das Päckchen und teilte die dampfenden Brötchen mit Jiao, die strahlend in ihr Backwerk biss.
    Ein Ruck ging durch die Sänfte. Anna und Jiao fielen nach vorn, und Anna stieß sich die Stirn an einer Holzlatte des Tragestuhls. Die frittierte Kugel plumpste auf ihren Rock und hinterließ einen Fettfleck.
    Anna keuchte erschrocken.
    Schreie wurden laut. Kampfgeräusche drangen in das Innere der Sänfte, dann kippte die Sänfte zur Seite. Anna kam hart auf dem Boden auf. Sie schrie vor Schmerz, als sie aufschlug und noch einmal, als Jiao auf sie fiel.
    Begraben unter dem schmalen Körper der Chinesin und den Stoffbahnen um sie herum, versuchte Anna, sich zu befreien. Ihr Kopf schmerzte; ihr war übel und schwindlig. Jiao hing schlaff auf ihr, offenbar hatte die zierliche Frau das Bewusstsein verloren.
    Wie durch dicken Nebel hörte Anna die Geräusche von draußen. Verschwommen erkannte sie, wie zwei schwarzgekleidete Männer die Stoffvorhänge der Sänfte beiseiteschoben und Jiao herauszogen.
    „Helft mir“, krächzte Anna. Doch die Unbekannten verschwanden aus ihrem Sichtfeld.
    Mühsam versuchte sie, sich aufzusetzen und sich aus eigener Kraft zu befreien. Mit einem Mal erschien Bao und half ihr gemeinsam mit einem der Sänftenträger aus dem verunglückten Tragestuhl heraus.
    Verwirrt ließ Anna sich zu einer Kiste führen, auf die sie sich setzte. In ihren Ohren klingelte es, und der Schmerz in ihren Gliedern jagte in eisigen Wellen durch ihren Körper. Ehe sie von einer Traube chinesischer Schaulustiger umringt wurde, sah sie, dass im Straßenschmutz einer der Leibwächter lag, einen roten Ring aus Bluttropfen wie perverser Perlenschmuck um seinen Hals. Sein Hinterkopf lag in einer blutigen Pfütze.
    Anna schluckte die Übelkeit hinunter und versuchte, sich bewusst zu machen, dass dies kein Unfall gewesen war.
    Hände grapschten in ihr Haar. Benommen wich Anna aus, doch mit einem Mal schienen alle Hemmungen bei den Umstehenden zu fallen, und sie wurde überall betastet.
    Bao und einer der Leibwächter bahnten sich laut schimpfend einen Weg durch die Menschentraube. Die Ansammlung löste sich auf, und Bao griff Annas Arm.
    „ Taitai , könnt Ihr aufstehen?
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