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Tigerlilie - Paul, I: Tigerlilie

Tigerlilie - Paul, I: Tigerlilie

Titel: Tigerlilie - Paul, I: Tigerlilie
Autoren: Ivy Paul
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die anderen beiden Frauen aussahen. Doch im Bruchteil von Sekunden hatte sie erkannt, dass sie ihre Sinne beieinander halten musste, wollten sie alle überleben.
    Sie führte die beiden Chinesinnen in Christophers Schlafzimmer und schob mit Baos Hilfe eine Truhe vor die Tür, nachdem sie sich vergewissert hatte, dass die Räume sicher waren. Dann eilte sie in die Kleiderkammer und suchte Kleider heraus. Hemden, Westen, Culottes und Fräcke.
    „Los, zieht euch an!“
    „ Taitai , das sind Männerkleider!“
    „Umso besser! Wenn wir fliehen müssen, werden wir uns wenigstens bewegen können“, erklärte Anna. „Beeilt euch! Wir haben nicht viel Zeit.“
    Das Adrenalin hielt Anna betriebsam. Es bewahrte sie davor, nachzudenken. Sich zu erinnern an das Blut, die Schreie, das Stöhnen der Sterbenden. An den metallischen Geruch, der im Raum lag, als das Blut aus den tödlichen Wunden strömte.
    Die Aufregung ließ sie vergessen, dass dort draußen, im Kampfgetümmel, Christopher stand und um ihrer aller Leben kämpfte.
    Dass er vielleicht schon tot war.
    „Kit, Kit, Kit“, betete Anna stumm. „Komm zurück zu mir!“
    Vom Erdgeschoss drangen immer noch Kampfgeräusche herauf.
    Anna biss sich auf ihre Lippen. Wenn Christopher nur nichts zustieße!
    Sie beschwor lautlos sämtliche Götter und Heilige, die ihr einfielen, flehte und versprach alles, solange Christopher und sie alle unbeschadet aus dieser Gefahr kämen.
     
    Ein Leben später, wie ihr schien, versuchte jemand, die Tür zu öffnen.
    „Anna, bist du da drin?“, erklang Christophers Stimme. Müde, aber scheinbar unverletzt.
    Sie rannte zur Tür und schob mit Baos Hilfe die Truhe beiseite. Christopher taumelte herein, blutbespritzt, aber unversehrt. Anna gestattete sich ein Schluchzen. Sie warf sich in Christophers Arme.
    „Du bis zu mir zurückgekehrt!“, weinte sie.
    Er drückte sie an sich. „Immer, Tigerlilie, immer.“ Christopher lockerte die Umarmung und sah ihr forschend ins Gesicht. „Wir gehen. Die Wachleute können die Bruderschaft ablenken und aufhalten. Doch nur eine Zeit lang. Bis dahin müssen wir den Hafen erreicht haben.“ Christopher musterte die drei Frauen. „Schafft ihr es, hinunter in die Küche zu laufen? Am Dienstboteneingang wartet Long Tian mit der Kutsche.“
    Anna nickte. In diesem Moment fühlte sie sich stark genug, Lian und Bao unter ihre Arme klemmen zu können und hinunter zur Droschke zu tragen, wenn es sein musste.
    „Dann los!“ Er gab Anna einen Klaps auf den Po. „Lauft, so schnell ihr könnt. Long Tian wartet draußen auf euch. Ich komme durch den Haupteingang.“
    Anna nickte, im Türrahmen hielt sie inne, drehte sich noch einmal um und lief zu Christopher zurück.
    Sie küsste ihn hingebungsvoll. Seine Zunge drängte in ihren Mund und kostete sie mit wilder Leidenschaft. Sein Körper strahlte Hitze ab wie ein Kaminfeuer.
    „Was gäbe ich darum, mich in dir verlieren zu können“, flüsterte Christopher an ihrem Ohr. Dann schob er sie von sich. „Geht, es ist höchste Zeit.“
    Die Frauen liefen die Hintertreppe nach unten. Die Wachleute und Leibwächter waren immer noch in Kämpfe mit den Schergen der Bruderschaft verstrickt. Sie hatten die Oberhand, hielten die Verbrecher beschäftigt, um den Frauen die Möglichkeit zur Flucht zu verschaffen.
    Anna und die Chinesinnen liefen einen schmalen, dunklen Gang entlang. Der Geruch nach Bratenfett und Kräutern stieg Anna in die Nase. Sie stieß eine Tür auf und stand in einer Küche. Anders als die, die sie aus England kannte, doch unbestreitbar die Küche.
    Bao ging an ihr vorbei zum Ausgang. Sie winkte Anna und Lian näher.
    „ Láiba ! Hierher, taitai !“
    Kalte Nachtluft strömte ihnen entgegen. Sie sahen Long Tian auf dem Kutschbock einer viereckigen Kutsche sitzen. Sie stiegen ein und saßen noch nicht richtig, als der Chinese die Peitsche knallen ließ.
    Anna und die anderen beiden wurden unsanft herumgeschüttelt.
    Es rumpelte, und die Frauen hörten Christophers Stimme. „Los, so schnell wie möglich zum Schiff!“
    Die Pferde galoppierten über die unebenen Straßen. Zu dieser fortgeschrittenen Nachtstunde war kaum jemand unterwegs, und sie kamen rasch vorwärts. Anna zitterte, ob vor Furcht, Kälte oder Aufregung, vermochte sie nicht zu bestimmen. Doch sie sah, dass auch Bao und Lians Arme von Gänsehaut überzogen waren.
    „Keine Angst, alles wird gut!“, tröstete sie die beiden.
    Nach einer schieren Ewigkeit verlangsamte die Kutsche das
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