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Tigerlilie - Paul, I: Tigerlilie

Tigerlilie - Paul, I: Tigerlilie

Titel: Tigerlilie - Paul, I: Tigerlilie
Autoren: Ivy Paul
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Anna straffte sich und lief zielstrebig auf die erstbeste offene Balkontür zu. Dort stützte sie sich auf die Balustrade. Der leichte Wind roch süß, nach irgendwelchen Blumen, die ihren Duft üppig verströmten. Sie atmete tief ein. Der Geruch war köstlich.
    Nach einer Weile spürte sie, wie sie sich beruhigte, wie ihr Zittern nachließ. Sie richtete sich auf und machte Anstalten, sich umzudrehen.
    „Nein, bleibt! Euer Rücken ist ein entzückender Anblick.“
    Anna erstarrte. Sie hatte nicht gemerkt, dass ein weiterer Gast auf den Balkon gekommen war. Soviel dazu, dass man die Anwesenheit einer Person fühlen würde! Der Unbekannte hinter ihr besaß eine Stimme, die sie umschmeichelte wie das Getränk, das ihr die irische Haushälterin servierte, wenn sie krank war. Süßer Honig in reichlich  Whisky aufgelöst.
    Und wie der Trunk ließ das Timbre sie schwindlig werden.
    „Euer Haar schimmert wie kostbarster Rubin“, sagte der Mann.
    Ein wohliges Zittern überlief Anna.
    „Wie mag ein bezauberndes Wesen wie Ihr heißen?“
    Anna richtete sich auf. Er stand hinter ihr, nah genug, dass sie seinen Atem an ihrem Ohr fühlte. Sie roch exotische Seife, die sich mit einer Spur Tabak und Brandy mischte. Der Geruch umgarnte Anna ebenso verführerisch wie sein Tonfall.
    „Ich glaube nicht, dass wir einander vorgestellt wurden.“ Sie gab sich alle Mühe, ihre Stimme kühl und beherrscht klingen zu lassen, obwohl ihr Herz so sehr raste, dass sie das Pochen bis in den Kehlkopf hinauf verspürte.
    Er lachte, und sein warmer Atem streifte über ihre Wange und ihren Nacken.
    „Sieh an, nicht nur rotes Haar, sondern auch das passende Temperament. Ihr wärt eine kleine Raubkatze, wenn man Euch ließe?“
    „Ihr vertut Eure Zeit, Sir. Ich bin keine Beute, die ihr erlegen könnt!“
    Er kam ihr so nahe, dass sie die Worte an ihrer zarten Nackenhaut fühlte.
    „Ist die Frau nicht das einzige Beutetier, das seinem Jäger auflauert?“
    Sie richtete sich auf, wich zur Seite und drehte sich um.
    „Ich dulde Eure unziemlichen …“ Anna unterdrückte ein überraschtes Keuchen.
    Vor ihr stand der exotische Mann aus dem Ballsaal. Er musterte sie mit einer Mischung aus Amüsement, Hunger und Betrübnis.
    „Wie schade, die Raubkatze ist ein Kätzchen und obendrein am Gängelband.“ Seine Lippen kräuselten sich humorvoll. „Ihr versteht, wenn ich es nicht wage, mich in den Stricken, die Euch binden, zu verheddern.“ Er nickte ihr zu. In seinen schrägstehenden Augen lag Bedauern. „ Éméi , lebt wohl!“
    Damit verschwand er im Innern des Ballsaals. Anna lehnte sich an die Balustrade und kämpfte gegen das Kribbeln und die Hitze, die abwechselnd durch ihren Körper wallten. Ihre Knie schienen ebenfalls ein Eigenleben zu führen. Eine ganze Weile glaubte sie, die Beine trügen sie nicht mehr länger.
    Sie versuchte, noch einen Blick auf den mysteriösen Unbekannten zu erhaschen.
    Er war fort.
     

justify
    Kapitel 1
     
    Die Tugend einer Jungfrau kennt keine Grenze, der Groll einer Frau kein Ende.
    Aus China
     
    London, 1811
    Ich brauche eine Frau“, sagte Christopher Drysdale.
    Cordelia Hawkes, die bekannte Londoner Kurtisane, starrte spöttisch hoch. „Mein Lieber, nicht dass ich deine Manneskraft anzweifle, aber nach den vergangenen Stunden kann das unmöglich dein Ernst sein. Sogar ich bin wund!“
    Christopher machte eine wegwerfende Handbewegung. „Nicht dafür!“
    Neugierig setzte Cordelia sich auf und ließ das Laken verführerisch über ihre Schultern gleiten, sodass ihre Brüste unter dem Faltenwurf vorteilhaft zur Geltung kamen.
    „Um deine Schuhe zu putzen?“, schlug sie vor.
    Christopher, der am Bettrand saß und in seine Stiefel schlüpfte, wandte sich zu ihr um. Seine Miene war ausdruckslos.
    Selbst nach all den Jahren, die sie sich kannten, erahnte Cordelia nicht, was dieser exotisch-wilde Mann dachte, wenn sein Gesichtsausdruck versteinerte wie gerade.
    „Ich muss heiraten“, erklärte er, und der düstere Ton war alles an Emotion, die seine wahren Gefühle verriet.
    „Eine Vermählung? Du?“, vergewisserte sich die Kurtisane. „Weshalb?“
    „Es macht sich besser für meinen Ruf“, sagte Christopher lapidar.
    Cordelia starrte ihn sprachlos an, dann prustete sie los. „Einen Moment lang hätte ich dir tatsächlich fast geglaubt!“ Sie wischte sich die undamenhaften Lachtränen aus dem Gesicht.
    Christopher drehte sich um und musterte sie schweigend.
    Cordelia wurde ernst und rutschte zu ihm.
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