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Tiger Unter Der Stadt

Titel: Tiger Unter Der Stadt
Autoren: Kilian Leypold
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ging alles drunter und drüber. Was wussten seine Eltern und woher …
    Krachend flog die Tür auf und ein leerer Müllbeutel segelte ins Zimmer. Die Mutter stand in der Tür, ihr Gesicht war puterrot.
     Ihr draller Körper auf den langen Beinen erinnerte Jonas an eine Biene. Eine wunderschöne Biene, die allerdings im Moment
     mit ausgefahrenem Stachel vor ihm stand.
    »Zieh dich aus und schmeiß alles sofort da rein! Du stinkst schlimmer als ein Misthaufen.«
    Jonas blieb nichts anderes übrig, weil seine Mutter |30| mit zugehaltener Nase im Zimmer stehen blieb. Als Letztes wanderte der Rucksack in den Beutel, nachdem er den Inhalt auf den
     Boden geschüttet hatte. Splitternackt schob ihn seine Mutter ins Bad.
    »Wenn du fertig bist, will dich dein Vater in der Küche sehen«, sagte sie und verschwand mit dem Sack.
    »Was machst du damit?«, rief Jonas ihr nach, bekam aber keine Antwort.
    Er duschte lange und heiß. Das Wasser wusch nicht nur den Gestank aus seinen Haaren und Poren, es schwemmte auch die Anspannung
     und den Schreck, erwischt worden zu sein, davon. Jonas schloss die Augen und hielt sein Gesicht in den Wasserstrahl. Zum ersten
     Mal seit Stunden fühlte er sich wieder wohl. Was für ein Abend. Was für ein Abenteuer! Er konnte es immer noch nicht glauben.

[ Menü ]
    |31| Brandgefährlich
    Jonas wickelte sich in den roten Bademantel seiner Mutter. Der Mantel war viel zu lang und weit, hatte aber eine Kapuze, die
     Jonas über den Kopf zog. Jetzt war er ein Boxer. Gleich würde er aus seiner Kabine die Stufen zum Ring hinuntersteigen, begleitet
     vom dumpfen, hämmernden Song des Herausforderers. Auf seinen roten Seidenmantel war sein Kampfname gestickt:
Bloody Nose
.
    Jonas mochte Boxen, seit er mit seinem Vater einmal nachts im Fernsehen einen großen Kampf hatte sehen dürfen. Die muskulösen
     Oberkörper, die Gesichter hinter den erhobenen Fäusten, das Tänzeln, Lauern, aus dem dann irgendwann ein Schlag abgefeuert
     wurde, blitzschnell, aber noch schneller duckte sich der Gegner und im Wegducken … Jonas konnte sich solche Kämpfe bis zur
     letzten Runde vorstellen, aber er selbst boxte nur gegen seine Matratze, sein Spiegelbild oder seinen eigenen Schatten. Also
     nicht richtig, nicht im Verein. Er schämte sich für den Speck auf seinen Hüften. Aber im Bademantel seiner Mutter sah das
     ja niemand. Er zog die Kapuze noch etwas tiefer. Sein Gesicht und vor allem seine Augen lagen jetzt im Schatten. Gut so. Was
     sollte er seinem Vater sagen? Die Wahrheit? Die halbe Wahrheit? Oder nichts? Der Tiger schien in seinem Kopf auf der Lauer |32| zu liegen und nur darauf zu warten, hervorzuspringen.
    Jonas trat in den Flur. Die Tür zur Küche war nur angelehnt. Langsam schob sich Jonas durch den Türspalt.
     
    Sein Vater saß müde und graubärtig am Tisch. Den Kopf in die Hände gestützt, starrte er auf den Fernseher, der auf dem Kühlschrank
     stand. Auf dem Bildschirm war eine Frau zu sehen, die gerade einem Riesenkerl ihre Pistole unter die Nase hielt.
    »Du hättest draufgehen können«, sagte der Vater plötzlich. »Ein falscher Tritt da unten und du bist weg vom Fenster.«
    »Wir haben schon aufgepasst«, murmelte Jonas. Wusste der Vater, wo er gewesen war?
    »Einen Dreck habt ihr!«
    Der Vater starrte Jonas direkt ins Gesicht. Sonst mochte Jonas die Augen seines Vaters – ruhige, etwas traurige Augen –, jetzt
     aber glänzten sie vor Zorn. Und Sorge. Jonas schaute auf den Boden. Sollte er es jetzt erzählen? ›Wir waren in der Kanalisation
     und haben mit einer Hängematte gefischt und dann …‹
    »Wir wollten mal schauen, wie es da ist«, sagte er ausweichend.
    »Gefährlich, du Idiot. Brandgefährlich!« Das war ein Lieblingswort seines Vaters; früher war er Feuerwehrmann gewesen, bis
     ihm bei einem Einsatz vor drei Jahren ein brennender Balken aufs Bein gefallen war. Ein Jahr später tauchte auch noch Vera
     auf, angeblich weil sein Vater jetzt mehr Zeit hatte, sich um |33| seine Tochter zu kümmern. Dabei arbeitete er noch immer bei der Feuerwehr, saß jetzt aber in der Pförtnerloge am Eingang.
    »Wer da unten reinfällt, kommt nicht wieder raus.«
    Jonas schwieg und riskierte einen Blick zum Bildschirm: Die Frau rannte eine Straße entlang, der Schlägertyp hinter ihr her.
     Gleich würde er sie eingeholt haben, da wurde plötzlich alles schwarz. Jonas’ Vater hatte die Fernbedienung gedrückt.
    »Die Kloake ist so zäh und schwer«, fuhr er fort, »dass du nicht schwimmen
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