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Tiger Unter Der Stadt

Titel: Tiger Unter Der Stadt
Autoren: Kilian Leypold
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kannst. Und dann erstickst du. An fremder Scheiße.«
    Es gab keinen Zweifel. Der Vater wusste genau, wo er gewesen war. Jonas’ leerer Magen krampfte sich zusammen. »Papa, ich hab
     Hunger …«
    Die Hand seines Vaters krachte mit solcher Wucht auf den Tisch, dass die Bierflasche vor ihm einen Sprung machte und scheppernd
     umfiel. »Du hörst jetzt zu, verdammt noch mal! Ich war auch mal da unten. Man hatte uns gerufen, weil ein jämmerliches Geschrei
     aus den Gullydeckeln kam. Zu viert sind wir eingestiegen, hörst du, zu viert! Nicht zu zweit.«
    Das wusste er also auch.
    »Denn wenn von zwei Männern einem was passiert, bringt ihn der andere nicht raus, viel zu schwer, so ein Mensch. Ist dir das
     klar? Und wenn er Hilfe holt, muss er den anderen allein da unten lassen. Kannst du dir vorstellen, wie beschissen das ist?«
    Jonas nickte unter seiner Kapuze, war sich aber nicht sicher, ob sein Vater es sah.
    |34| »Es war glitschig und eng. Und ein Gestank, dass wir unsere Sauerstoffmasken einsetzen mussten. Dann hörten wir es. Es klang
     erbärmlich, wie ein Hilfeschrei. Aber der Hall dort unten hielt uns immer wieder zum Narren. Endlich hatten wir den Schreihals:
     eine Katze. Eine kleine süße Katze, die irgendwie in die Kanalisation geraten war. Und wir kamen gerade noch rechtzeitig.
     Sie saß in einer Nische, umzingelt von mehreren Kanalratten.«
    Die Augen von Jonas’ Vater leuchteten, ihm gefiel die Erinnerung.
    »Ich wusste, jetzt wird’s brandgefährlich. Mit dem grellen Licht unserer Lampen verscheuchten wir zwar die Ratten, aber als
     Franz die Katze gerade gepackt hatte, rannte ihm noch mal eines der Biester über die Hand.«
    »Wie groß war sie?«, fragte Jonas.
    Sein Vater hob langsam den Arm, sodass die Taucheruhr, die ihm seine Kollegen nach dem Unfall geschenkt hatten, scheppernd
     nach unten rutschte.
    »So lang wie mein Unterarm. Ohne Schwanz.«
    Jonas riss die Augen auf. »Ohne Schwanz?«
    »Ja, riesige Viecher. Franz erschrak genauso. Er verlor das Gleichgewicht und fiel in die braune Soße, samt Katze. Aber er
     konnte nicht schwimmen, so zäh war das Zeug und so schlecht war ihm. Er wäre uns ersoffen, wenn er nicht im letzten Moment
     die Leine seiner Rettungsweste gezogen hätte. Das Ding blies sich auf und Franz und die Katze blieben oben. Dann haben wir
     sie rausgefischt.«
    |35| Vielleicht war jetzt der richtige Moment.
    »Wir haben auch eine Katze gefunden«, sagte Jonas. »Eine ziemlich große …«
    »Lüg nicht!« Der Vater wuchtete sich hinter dem Küchentisch hervor. Sein linkes Bein war dünn und krumm, auch ein ganzes Stück
     kürzer als das rechte. Der Balken hatte es richtig zerschmettert. Seitdem lebte der Vater im Sitzen; entweder hockte er in
     der Pförtnerloge oder in der Küche. Schwankend und humpelnd kam er auf Jonas zu und blieb so dicht vor ihm stehen, dass Jonas
     den Schweiß, das Bier und den Rauch roch. Früher hatte er anders gerochen, dachte Jonas, aber früher war überhaupt alles anders
     gewesen.
    »Du kannst froh sein, dass dich deine Schwester da rausgeholt hat.«
    Jetzt dämmerte es Jonas. Vera, dieses Miststück!
    So ähnlich musste sich Muhammed Ali damals in Afrika gefühlt haben, als er in den Seilen hing und Formans Schläge nur so auf
     ihn einprasselten …
Fäuste hoch, Bloody Nose! Wehr dich!
    »Rausgeholt?« Fast schrie Jonas. »Verpfiffen hat sie uns. Der ist es doch scheißegal, ob mir was passiert. Sie hat uns nur
     gesucht, um uns zu verpetzen!«
    »Du hast heute Mist gebaut.« Der Vater schleppte sich zurück zur Küchenbank. »Nicht deine Schwester. Und schon gar nicht irgendeine
     Katze!«
    »Doch! Eine Riesenkatze! Ein Tiger!« Jonas’ Stimme klang schrill.
    |36| »Ab ins Bett!« Der Kopf seines Vaters war feuerrot. »Mir reicht’s! Und wenn dir der Magen knurrt, dann sei froh, dass du ihn
     noch hörst!«
    Jonas kämpfte mit den Tränen, da legten sich von hinten sanft zwei Arme um ihn. Am Geruch erkannte Jonas seine Mutter.
    »Hört auf«, sagte sie leise.
    »Was ist mit meinen Sachen?«, fragte Jonas, um nicht loszuheulen.
    »Die hab ich weggeschmissen. Das hat gestunken, Jonas, das kannst du dir überhaupt nicht vorstellen. Am allerschlimmsten die
     Schuhe.«
    »Du hast meine Turnschuhe weggeschmissen …«
    Gerade weil sie so alt und speckig waren und schon halb in Fetzen hingen, liebte Jonas diese Schuhe über alles. Nur zum Schlafen
     oder Schwimmen zog er sie aus. Und seine Mutter wusste das.
    »Es tut mir leid, ich
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