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Tiger Unter Der Stadt

Titel: Tiger Unter Der Stadt
Autoren: Kilian Leypold
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weiß, wie du an den Schuhen hängst, aber das geht nicht. So kannst du mit deinen Sachen nicht umgehen.«
    Der Blick, mit dem sie Jonas ansah, war vorwurfsvoll, gleichzeitig voller Mitleid. Das war zu viel.
    »Ihr wollt mich nur bestrafen!« Jonas wand sich aus den Armen seiner Mutter und rannte aus der Küche.
     
    Während er sich im Flur die Tränen aus den Augenwinkeln wischte, wurde ein Schlüssel ins Schloss der Wohnungstür gerammt,
     die Tür flog auf und Vera stampfte in die Wohnung.
    Ihre Stimmung war noch schlechter geworden – |37| soweit das überhaupt möglich war. »Ach, das Muttersöhnchen«, zischte sie, als sie an Jonas vorbeikam. »War deine Mama nicht
     lieb zu dir?«
    »Blöde Petze!« Mehr brachte Jonas nicht heraus, so sehr schnürte die Wut ihm die Kehle zu.
    Vera blieb stehen, ihre klobige schwarze Gestalt schien den ganzen Flur auszufüllen. »Besorgte Schwester würde ich das nennen«,
     flüsterte sie. »Und was hab ich davon, dass ich dich aus der Scheiße geholt habe? Ich muss jetzt schon zu Hause sein, weil
     ich auf Mamas fetten Liebling nicht gut genug aufgepasst habe. Ist das gerecht?« Sie beugte sich zu Jonas und verzog das Gesicht
     zu einer Grimasse. »Ist es nicht. Und deshalb hast du was gut bei mir. Freu dich.«
    Jonas schwieg und starrte sie hasserfüllt an.
    »UND DAS NÄCHSTE MAL GEH ICH NICHT MEHR AN DAS SCHEISSHANDY!« Das schrie Vera in Richtung Küche, wo inzwischen wieder der
     Fernseher lief. Dann verschwand sie mit wütendem Schnaufen und wehender Kutte in ihrem Zimmer.
    Auch Jonas ging in sein Zimmer und warf sich aufs Bett. Bilder wirbelten wild durch seinen Kopf: Vera mit dem Handy über dem
     Gully, Lippe mit aufgerissenen Augen, seine geliebten Schuhe in einem Müllsack und immer wieder der Tiger, seine Augen, die
     Stimme …
    Jonas’ Kopf kippte zur Seite. Im Mondlicht warf seine verdrehte Nase einen Schatten, der an einen Boxer erinnerte, der sich
     zum Schlag spannt.

[ Menü ]
    |38| Am geborstenen Stein
    Jonas träumt.
    Er rutscht eine Stange hinunter; nur ist sie nicht aus Metall wie die Stangen in der Feuerwehrwache seines Vaters, sondern
     aus einem gelblichen Material und leicht gebogen. Je tiefer Jonas rutscht, desto dünner wird die Stange. Sie erinnert Jonas
     an etwas, er weiß nur nicht, an was. Jetzt sieht er, dass die Stange unter ihm zu einer nadelfeinen Spitze zusammenläuft.
     Jonas krallt sich fest. Er weiß jetzt, an was er sich klammert: an einen Zahn. Den gebogenen Fangzahn eines Raubtieres. Das
     Maul, in dem dieser Zahn steckt, muss riesig sein. Jonas’ Hände werden feucht, er rutscht weiter ab. Bald wird er fallen.
     Weit unter sich kann er ein kleines Boot erkennen, das über eine bräunliche Flüssigkeit gleitet. Jonas wundert sich, dass
     das Boot nicht abgetrieben wird, obwohl die Strömung sehr stark ist. In dem Boot stehen drei Menschen, die zu ihm hochsehen
     und zwischen sich einen riesigen Müllsack aufhalten. Auf einmal kann er die Gesichter erkennen – es sind seine Eltern und
     Vera. »Spring schon!«, rufen sie. Jonas weiß, dass er auf keinen Fall in dem Müllsack landen darf. Er weiß nicht, warum, nur,
     dass es auf keinen Fall passieren darf. Mit aller Kraft krallt er sich an den Zahn, aber es hilft nichts, er rutscht Haaresbreite
     um Haaresbreite nach unten, gleich wird |39| er fallen. In seiner Verzweiflung presst Jonas das Gesicht gegen den Zahn. Er ist glatt, hart und kalt …
     
    Jonas wachte auf. Gegen sein Gesicht drückte immer noch etwas Hartes, Kaltes … Die Brechstange! Keuchend setzte er sich auf.
     Sonnenstrahlen wärmten seinen Nacken und langsam lösten sich die Traumbilder auf. Dafür wurde sein Hunger immer stärker. Gerade
     wollte er aufstehen, da entdeckte er neben seinem Bett einen Teller mit einem Stück Himbeerkuchen und einer kalten Bratwurst
     mit einem Klacks Senf. Dazu ein Glas Milch. Und ein Zettel:
     
    Die Wurst ist von Papa, der Kuchen von mir. Lass es dir schmecken!
    Bin einkaufen.
    Mama
     
    Jonas trank als Erstes die Milch. Fast in einem Zug das ganze Glas. Und jetzt? Die Bratwurst oder der Himbeerkuchen oder beides
     gleichzeitig? So hätte Lippe es wahrscheinlich gemacht. Jonas hielt sich lieber an folgende Regel: Das Beste zuerst. Also
     aß er den Himbeerkuchen vor der Bratwurst mit Senf. Der Streit mit seinen Eltern kam ihm wieder in den Sinn, aber je mehr
     er aß, desto schwächer wurde seine Wut. Jonas lehnte sich zurück und schloss die Augen. Nach einer Weile meinte
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