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Tiefflug: Der vierte Fall für Kommissar Jung (German Edition)

Tiefflug: Der vierte Fall für Kommissar Jung (German Edition)

Titel: Tiefflug: Der vierte Fall für Kommissar Jung (German Edition)
Autoren: Reinhard Pelte
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gut geschlafen. Erstaunlich gut, dachte er, als ihn die Erinnerung an den Leichnam in seinem Gästezimmer überfiel.
    Dennoch, er fühlte sich erfrischt. Seine Lebensgeister waren nach dem Aufstehen sehr lebendig. Schon lange hatte er sich nicht mehr so gut gefühlt. Der Zustand versetzte ihn in seine besten Zeiten, in denen ihm unentwegt schnelle und richtige Entscheidungen abverlangt worden waren. Er war den Anforderungen immer gerecht geworden, wie er meinte. Darauf war er heute noch stolz.
    Umso mehr schmerzte ihn die Erinnerung an den gestrigen Abend. Er hatte sich von diesem blassgesichtigen Brillenträger überrumpeln lassen. Der Typ wird sich noch sein Leben lang an mich erinnern, schwor er sich, aber ganz sicher nicht so, wie sich dieses Kerlchen das gedacht hat. Dafür werde ich sorgen.
    Er verließ rasiert und geduscht das Badezimmer und ging die geschwungene Diele entlang in die Küche. Er bereitete sich ein Müsli zu und setzte Kaffee auf. Aus dem Küchenfenster blickte er über den Pool und den mit sattgrünem Elefantengras bewachsenen Hang hinunter auf den Atlantik. Das in der Morgensonne glitzernde Meer erfüllte ihn mit Kraft und Mut. Ein blauer, wolkenloser Himmel wölbte sich über die Zitrushaine und Mandelgärten zur Rechten. Er atmete tief ein. Er hatte es verdammt gut hier, dachte er, und daran sollte sich auch nichts ändern, so wahr er Tiny the Top Gun war.
    Während er sein Müsli löffelte, schaltete er den Fernseher auf dem Küchentresen ein. Morgens sah er gern die neuesten Nachrichten auf RTP1 oder RTPN. Der Sender aus Porto war auf Nachrichten spezialisiert. Heute waren beide Kanäle randvoll mit aufgeregten Berichten über eine Kindesentführung an der Algarve. Seine Neugierde wurde geweckt, als Praia da Luz erwähnt wurde. Vor den Kameras und Mikrofonen sah er die Eltern ein Interview geben. Der Löffel blieb ihm auf halbem Weg zum Mund stehen. Er legte ihn zurück und beugte sich gespannt vor. Er glaubte, seinen Augen nicht zu trauen. Das konnte einfach nicht wahr sein. Er griff zu seinem Becher, trank einen Schluck Kaffee und verbrannte sich fast die Zunge. Ärgerlich setzte er den Pott zurück.
    Er hatte Mühe, sich einzugestehen, dass die beiden auf dem Bildschirm dieselben waren, mit denen er gestern Abend im Clube Carvoeiro aneinandergeraten war. Er hatte sie kennengelernt – und wie er sie kennengelernt hatte. Erst nach ein paar weiteren Schlucken Kaffee fing er an zu begreifen, welche Show die beiden da abzogen. Oder etwa nicht?
    Er hastete ins Gästezimmer und schlug die Decke über dem Leichnam zurück. Es gab keinen Zweifel. Sie war tot und lag in seinem Haus.
    Er schlug die Decke ganz zurück. Das Mädchen war in eine Art Jogginganzug gekleidet, ohne Schuhe und Strümpfe. Er drehte sie auf den Bauch. Sie war unversehrt: Keine Wunden, kein Blut, keine Gewalt. Man hätte meinen können, sie schliefe. Nur ihre unnatürliche Blässe, die Starre und ihre leblosen Augen erinnerten ihn daran, dass etwas mit ihr nicht stimmen konnte. Sie musste erstickt, vielleicht vergiftet oder an inneren Verletzungen gestorben sein.
    Er war kein Arzt. Er konnte keine Rückschlüsse auf die Todesursache ziehen. Er schloss die Lider über ihren Augen, deckte sie wieder zu und ging zurück in die Küche.
    Die Mutter gab noch immer Interviews. Er schaute genauer hin. Von den Tränen und den Schreien der vergangenen Nacht war auf ihrem Gesicht nichts mehr zu entdecken. Sie hätte auch die Pressesprecherin von Daimler-Benz sein können. Ihre hochnäsige Unberührtheit und sogar ihr Outfit passten zu dieser Rolle.
    Wartet nur, ihr beide, dachte er grimmig. Er steckte sich eine Camel Light ins Gesicht, seine erste heute Morgen, und entzündete sie. Er sog den Rauch tief in die Lungen und wälzte das Zippo, mit dem er den Glimmstängel entzündet hatte, spielerisch in der Hand hin und her. Er merkte, wie ihn der Gedanke zu berauschen begann, der angeblichen Entführung ein sensationelles Ende zu bereiten.
    Maria würde am Vormittag kommen, den Einkauf mitbringen und sich um das Haus kümmern. Spätestens dann musste die Kleine aus dem Haus sein. Seine Idee von gestern Abend war immer noch gut, aber nicht mehr so einfach durchzuführen. Er überlegte nicht lange. Als er wenig später das Bündel aus dem Gästezimmer über die Auffahrt zu seinem Auto trug, pfiff er leise vor sich hin. Er legte seine Fracht in den Kofferraum. Selbst seine allernächsten Nachbarn konnten sein Pfeifen nicht hören. Sie
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