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Tiefer

Titel: Tiefer
Autoren: Sophie Andresky
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Ausdruck, sondern immer ein großes
     Fragezeichen. Als wäre das nicht schon demütigend genug gewesen, wurde auch das Gefolge des Captains noch von allen bewundert.
     Wer beim Burgern neben ihm sitzen durfte, war in der beliebtesten Clique der Schule. Klar, dass ich nicht dazu gehörte.
    Ich trug mein Tablett mit Pepsi light und Käsekuchen meistens mit gesenktem Kopf an ihnen vorbei und hoffte, dass ich nicht
     weiter auffiel. Meistens klappte das aber nicht, weil ich immer, wenn ich den Captain sah, stolperte oder etwas fallen ließ,
     und prompt fing die Meute an zu jodeln. Ich heiße Heidelinde, aber alle sagen Heidi zu mir. Die überaus originellen Fragen,
     wo |208| mein Geißen-Peter ist und ob ich es mit dem Alm-Öhi treibe, kenne ich seit der Grundschule. Ich hatte gedacht, auf der Theodor-Heuss-Berufsschule
     würde es besser, aber das wurde es nicht. Selbst der Captain nannte mich Heidi – falls er mich mal ansprach, was sich auf
     Sprüche wie «Heidi, schlurf doch mal beiseite, das ist ja schrecklich, dieses Schneckentempo, hier geht’s ein bisschen schneller
     zu als auf der Alm» beschränkte. Ich glaubte, dass er solche Sachen nur sagte, um vor der Meute gut dazustehen, die jedes
     Mal grölend lachte und in wildes Gejohle ausbrach, denn eigentlich war er nett. Er musste einfach nett sein, denn er sah umwerfend
     aus. Er hatte orange gefärbte Haare, die er mit Gel und Haarspray wie einen Helm frisierte, sodass sie aussahen wie die windschnittigere
     Variante eines Playmobilfigürchens, und ein Gesicht wie ein Filmstar. Oft trug er weiße Overalls aus einem papierähnlichen
     Material, die er sich in einer Strahlenschutzfirma besorgte und die ihm einen spacigen Anstrich gaben und ihn immer auffallen
     ließen, egal, ob er der Star einer Technoparty war oder in der Berufsschule vor mir saß. Die Clique nannte ihn Captain, weil
     er wie Captain Future aus der Zeichentrickserie aussah und auch immer «das ist ja schrecklich» sagte. Ich hätte mich natürlich
     nie getraut, ihn so anzusprechen. Ich hätte wohl Sebastian gesagt, wenn sich eine Gelegenheit ergeben hätte, mit ihm zu reden,
     aber die ergab sich nie. Bis zu diesem Abend, an dem alles anders wurde.
    Ich war mit einer Freundin in der Disko, von der ich |209| wusste, dass der Captain mit seiner Meute immer hinging. Na ja, Freundin ist zu viel gesagt, es war eher eine botanische Zweckgemeinschaft,
     zwei Mauerblümchen in symbiotischer Verklemmtheit stehen im gegenseitigen Schatten. Wir langweilten uns wie üblich. Es forderte
     uns niemand zum Tanzen auf, und wenn ich ehrlich bin, sah uns auch niemand nur an. Ich bin eben so. Man sieht mich nicht,
     wenn ich nicht gerade etwas fallen lasse. Die Clique sagt auch oft «das Heidi» zu mir, und irgendwie stimmt es auch, sehr
     fraulich bin ich wirklich nicht. Auf Brüste warte ich bis heute, dabei bin ich schon siebzehn, ich glaube, die Natur hat mich
     schlicht vergessen oder will einfach nicht, dass ich mich fortpflanze. Neben uns stand die Meute groß und schön wie Engelsgestalten
     und lachte über alles, was der Captain sagte, meistens ging es dabei um Sex.
    Das dachte ich zumindest, denn worüber hätte er sonst sprechen sollen als darüber, was man mit diesem Traumkörper alles anfangen
     konnte, mit den muskulösen Beinen, der perfekt ausgebildeten Brustpartie, die ich immer bewunderte, wenn er in der Schule
     das Netzhemd trug, in dem er mich durch zahllose Urwaldträume gejagt hatte. Meine sexuelle Erfahrung beschränkte sich auf
     ein Date mit einem marokkanischen Austauschschüler, mit dem ich im Kino in einem Film war, in dem Aliens das Gehirn eines
     Menschen auslöffelten, frisch aus dem Schädel, und währenddessen fummelte der Austauschschüler an meinem BH herum und versuchte,
     mit der anderen Hand krakenartig unter meinen |210| Rock zu fassen, wo ihn ein weißer Liebestöter erwartet hätte. «Ihh, ist das widerlich», hatte ich gesagt, «das muss doch nicht
     sein», und er hatte geglaubt, ich redete von dem Film, in dem es jetzt mit Kettensägen zur Sache ging, aber ich meinte eher
     seine gierigen Griffel an meinem Sport-BH.   Was soll ich machen, ich bin so. Sex interessiert mich nicht.
    Das stimmt nicht: Ich bin besessen von Sex.
    Ich denke an nichts anderes. Wenn unser Steno-Lehrer sich rittlings auf seinen Stuhl setzt und sich die Hemdsärmel hochkrempelt,
     werde ich schon ganz kribbelig, ich habe eine Schwäche für männliche Unterarme. Und wenn ich mir dann
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