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Tiefer

Titel: Tiefer
Autoren: Sophie Andresky
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Wandlung vom Tankstellen-Schmuddelblatt zur Infotainment-Wartezimmer-Illustrierten,
     und da ich gerade zu dieser Zeit anfing, erotische Kurzgeschichten für die Redaktion zu schreiben, wurde mir eine schwarze
     Liste von Begriffen mitgeteilt, die man aufgrund des gestiegenen Niveaus nicht mehr zu verwenden habe. «Möse» war so einer.
     «Muschi» hingegen |214| sei okay, «Vötzchen» auch, «Votze» wiederum nicht. «Schwanz» ist g’schamig mit «er» zu umschreiben, und obwohl die Geschichten
     «juicy» sein sollen, dürfen auf gar keinen Fall Körperflüssigkeiten drin vorkommen.
    Und: vor allem keine Hinterteile. Natürlich schon gar keine penetrierten. Da kneift die Redaktion kollektiv die Rosetten zusammen.
     Die Moral ist diese: Eine Blondine mit dem IQ eines Hirsebreis zu schildern, die demütig vor ihrem Chef auf den Knien rutscht,
     damit er über dem Anblick all ihrer Vorzüge ihre mangelhaften Diktatkenntnisse vergisst, also das Klischee einer Frau zu zeigen,
     wie sie erniedrigt und auf das Wort mit dem «M» reduziert wird, ist in Ordnung. Eine toughe erotisch aggressive Storyheldin,
     die sich bei den Männern holt, was ihre
Möse
braucht, und sich genussvoll
ficken
lässt, ist dagegen unter Niveau. Das Vokabular kann es nicht sein, denn Sex ist nun mal keine saubere, possierliche Angelegenheit.
     Es ist nicht mal besonders ästhetisch: Zwei schwitzende, keuchende Körper ringen miteinander, um Ströme von Speichel, Sperma
     oder Vaginalflüssigkeit auszutauschen. Es gibt keine einzige Position, weder im Kamasutra noch im Joy of Sex, in der man vorteilhaft
     aussieht. Die Rettungsringe rollen sich, oder die Knochen bohren sich spitz vor. Man stöhnt, sabbert, brabbelt dummes Zeugs
     und verdreht die Augen. Das ästhetisch zu beschreiben ist schon keine Kunst mehr, es ist eine Lüge. Es ist keine Lüge. Denn
     es ist doch auch so schön, sich herumzusuhlen auf dem Laken mit jemandem, dem man alle Problemzonen |215| direkt vor die Nase halten darf und der das dann auch noch geil findet. In der Literatur ist es ähnlich. Die Form muss dem
     Inhalt entsprechen. Das bedeutet: Die eben geschilderten, doch recht tierischen Vorgänge schreien geradezu nach einem doch
     recht tierischen Vokabular. Und mal ehrlich: Wem soll bei dem Satz «Die Kurven deines Gesäßes erscheinen mir reizvoll?» einer
     abgehen, wenn er sich einen
geilen Arsch
vorstellen möchte? Aber zurück zu den Frauen in solchen Geschichten.
    Dieses Bild einer, um im pornographischen Vokabular zu bleiben,
geilen
, starken, lustvollen Frau ist offenbar schwierig. Für Redaktionen, aber auch für Feministinnen. In meinen Büchern und Geschichten
     gibt es nicht einen Fall, bei dem eine Frau erotisch zu kurz gekommen wäre. Es gibt nicht eine Heldin, die sich duckt oder
     die sich benutzen lässt. Aber es gibt eine wilde Horde munter vögelnder Frauen, Weiber, Xanthippen und Lolitas. Frauen mit
     Cellulitis, Überbiss, grauen Haaren, Fettpolstern oder der Oberweite einer Strukturtapete. Und sie alle haben Sex. Wann sie
     wollen, wie sie wollen, wo sie wollen, mit wem sie wollen. Schwierig.
    In einem norddeutschen Sechstausendseelen-Dorf veranstaltete eine Freundin von mir einen Workshop mit dem Titel «Schweinkram
     – erotische Literatur von und für Frauen». Es kamen acht Frauen. Als Kurslektüre hatte sie mein Buch «Das Lächeln der Pauline»
     angegeben. Prompt hagelte es Kritik. Feministische Kritik. |216| Und zwar, weil den doch wesentlich älteren Kursteilnehmerinnen die Frauen in den Geschichten zu emanzipiert waren. Kein Druckfehler.
Zu
emanzipiert. Sie wünschten sich eingestrickte Geschlechterdebatten. Es sollte Diskussionen zwischen den Figuren über sexuelle
     Wünsche und Rollenbilder geben, um «das Problembewusstsein zu schärfen». Damit habe ich in doppelter Hinsicht Schwierigkeiten.
    Zum einen schätze ich zwar intellektuelle Diskussionen, aber nicht im Bett. Was ich schreibe, sind keine soziologischen Aufklärungsbücher,
     sondern erotische Appetizer. Ein (männlicher) Leserbrief bezeichnete manche der Geschichten einmal als «Wichsvorlagen». Und
     ich muss zugeben, dass mir die Vorstellung gefällt: Rattig erregte Frauen, die es sich mit diesen Texten besorgen, finde ich
     prima.
    Zum anderen vertrete ich die doch, wie ich finde, ziemlich feministische Ansicht, dass die Zeit der Diskussionen passé sein
     muss. Der Worte sind genug gewechselt, Schwestern, lasst uns Taten sehn. Wir wollen nicht über Sex
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