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Tief

Tief

Titel: Tief
Autoren: Mike Croft
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sank in die Polster zurück und grunzte voller Erleichterung. Seine Gedanken wanderten in eine Zeit zurück, als er in diesem Alter gewesen war.
    Mein Leben, dachte er … was für eine Reise. Das Kinderheim, die Verachtung des Personals: »Du bist nutzlos, jämmerlich, ein Nichts.« Warum haben sie ständig auf mir herumgehackt, warum haben sie mich nie gemocht ? War es Zufall? Und dann, als ich ein bisschen älter wurde, was der stellvertretende Direktor des Heims mit mir gemacht hat …
    Unbehaglich schüttelte Rattigan den Kopf; selbst jetzt konnte er an diese Ereignisse nicht zurückdenken. Es war zu gefährlich für sein fragiles Gleichgewicht … Jeder Erwachsene, mit dem ich in Kontakt kam, hielt mich für ein Nichts, tat so, als würde ich kaum existieren. Aber ich existierte doch. Und ich habe gearbeitet – Gott, wie hart ich gearbeitet habe –, um das Stipendium zu bekommen. Für Oxford , gratulierte er sich selbst und genoss die beiden Silben in seinem Kopf. Aber – wie ein Kind zog er die Nase kraus – diese Bastarde. Grässliche Kerle. In Oxford war es wieder genauso wie im Kinderheim. Subtiler zwar, aber ich war trotzdem der Prügelknabe, der Außenseiter. Na ja, seht mich jetzt an. Ich bin wahrscheinlich wohlhabender als mein gesamtes College und all seine lebenden Alumni zusammen. Und wie viele Menschen auf dieser Welt hatten wohl schon – anonym – fast hundert Millionen Pfund für wohltätige Zwecke gespendet?
    Als Hauptanteilseigner einer Frachtschifflinie, deren Flotte Containerschiffe, Eisenerz- und Gefahrengutfrachter, Öltanker und allgemeine Frachtschiffe umfasste, war Rattigan ein anerkannt reicher Mann. In seiner Branche galt er als achtbarer Reeder im mittleren Einkommensbereich. Aber die Quelle seines wahren Reichtums lag woanders, in der unkontrollierten Hektik der globalen Schiffsszene mit ihren unendlichen Möglichkeiten, Geld anzuhäufen. Die Organisationen, die für die Verwaltung der Ozeane verantwortlich waren – die International Maritime Organization und das International Maritime Bureau – waren restlos unterbesetzt und kämpften mit dem System vielschichtiger Eigentumsverhältnisse durch sogenannte Billigflaggen. Einer seiner Tanker, im Besitz einer New Yorker Scheinfirma, der unter liberianischer Flagge fuhr, war vielleicht von einer Bank in Hongkong finanziert, von einem Klassifizierungsbüro in Norwegen registriert, wurde von einer zweiten Scheinfirma in Monte Carlo geführt, war in London versichert und wurde von Singapur aus verwaltet. In so einem System konnte man alles verbergen.
    Zufrieden dachte er über diese Dinge nach. In der Zwischenzeit rief er seine Mails ab und sah, dass seine Tochter geschrieben hatte. Oh, Mist ! Er spürte, wie Entsetzen in ihm aufstieg. Bitte, flehte er insgeheim, hoffentlich hat sie nicht abgesagt! Er öffnete die Mail.
    Daddy, Änderung des Treffpunkts: Bob’s Caff in der Stroud Green Road, Finsbury Park. Bis später, Ally.
    Bob’s Caff? Bob’s Caff? In Finsbury Park? Was war denn nicht in Ordnung mit dem Tisch, den er im The Richoux reserviert hatte? Aber wenigstens hatte sie nicht abgesagt. Gott, warum sah er sie in der letzten Zeit so selten? Er hatte noch nicht einmal ihre Telefonnummer. Aber – er seufzte erleichtert – wenigstens treffe ich mich nach Monaten endlich mal wieder mit ihr! Der Gedanke erfüllte ihn mit Vorfreude: meine geliebte Ally.
    Wenn jemand ihn jetzt gesehen hätte, wie er in der Vorfreude auf das Wiedersehen mit seiner Tochter schwelgte, hätte er ihn bestimmt gemocht. Und das war alles, was er immer gewollt hatte.
    Im Zentrum von Brighton standen die Autos Stoßstange an Stoßstange. Roddy wollte so schnell wie möglich an die Küste und suchte nach Lücken, die es nicht gab.
    »Ach, verdammt, mach schon!«
    Das Autoradio lief – irgendeine Sendung über Nahrungsmittelmangel. »Müssen wir uns jetzt Sorgen über den Fischbestand im Meer machen?«, sagte der Moderator gerade, aber Roddy hörte nicht mehr zu, als das Auto vor ihm vor einer grünen Ampel stehen blieb.
    »Nein, nein, nein«, flehte Roddy, »tu das nicht.«
    Er brauchte eine Viertelstunde, um ans Ende der West Street zu gelangen. Am Queen Square verließ er sein Auto, was ihm später einen Strafzettel einbringen sollte, und eilte zum Strand. Über der Promenade blieb er stehen und blickte in beide Richtungen die Küste entlang. Die Stelle, wo der Wal gestrandet war, war nicht schwer auszumachen. Etwa dreihundert Meter rechts von ihm
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