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Tief

Tief

Titel: Tief
Autoren: Mike Croft
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diese Person wären, was wollten Sie damit vermitteln?«
    »Dass ich ein verrückter Hurensohn bin?«
    Roddy lächelte.
    »Na ja, vielleicht. Aber ich glaube, es ist eher eine Art Protest. Wenn Leute nicht bekommen können, was sie wollen, oder wenn sie das Gefühl haben, niemand hört ihnen zu, oder wenn sie sich einfach – ach, ich weiß nicht – absolut machtlos fühlen, dann können sie etwas scheinbar völlig Unlogisches tun, etwas, das niemand ignorieren kann.«
    »Was zum Beispiel?«
    »Na, Sie wissen schon – Dächer besetzen, in den Hungerstreik treten, sich selbst anzünden, sich die Lippen zunähen.«
    »Und Sie glauben, deshalb treibt mein Wal mit dem Bauch nach oben durchs Wasser? Weil sie in die Zeitung will?«
    »Vielleicht will sie gehört werden … Joe, ich weiß nicht, es ist nur ein Gedanke.«
    »Und was will sie damit sagen? Wie soll ich sie verstehen?«
    »Das weiß ich auch nicht.«
    Erneut schwiegen beide. Joe hoffte, dass Roddy etwas anderes, wesentlich Besseres einfiel. Er rieb sich die Augen.
    »Roddy, meine sechsjährige Nichte kann bessere Geschichten erzählen.«
    Roddy zuckte mit den Schultern. In diesem Moment klingelte sein Handy.
    »Ja, hallo? Derek, hi! Wie geht es …«
    Sein Freund Derek Petersen, ebenfalls ein Wal-Experte, der auch auf dem Clare College in Cambridge studiert hatte, und Leiter eines Forschungslabors war, ließ ihn erst gar nicht zu Wort kommen. »Wo bist du?«
    »Ich schäme mich zu sehr, um dir das zu sagen.«
    »Hast du einen Fernseher in der Nähe? Schalt ihn sofort ein.« »Was ist denn los? Joe, ich brauche einen Fernseher.«
    »Sie wollen jetzt Fernsehen gucken?«
    »Haben Sie einen oder nicht?«
    »Im Büro.« Joe zeigte müde in die Richtung.
    Joes Büro war düster und vollgestopft. Auf einem uralten Schreibtisch türmte sich der Müll. Aschenbecher, aus denen Zigarrenstummel über Papiere und Dokumente quollen. An den Wänden waren Kisten und Aktenordner gestapelt, und auf dem Fußboden lagen seltsame Objekte – ein kaputtes Ruder, mindestens sieben überflüssige Computer in verschiedenen Stadien der Auflösung und eine ausgestopfte Riesenkrabbe. In einer Ecke war ein kleiner Schwarz-Weiß-Fernseher an der Wand montiert, den Roddy, das Handy immer noch am Ohr, jetzt einschaltete.
    »Welches Programm?«
    »Das vierte. Sieh dir das an. Ein Pottwal am Strand von Brighton.«
    »Das ist doch absurd!«, rief Roddy automatisch aus; Pottwale strandeten nicht, jedenfalls nicht in Brighton. Aber jetzt erschien er auf dem Bildschirm. Ein junger Reporter stand neben dem Tier und hatte besitzergreifend seine Hand auf dessen riesige Flanke gelegt.
    »… immer noch nicht ganz sicher, um was für eine Art von Wal es sich handelt und warum er auf den Strand geschwommen ist«, sagte der Reporter gerade, während hinter ihm grinsende Teenager ins Bild schlurften. »War es ein verzweifelter Versuch, Selbstmord zu begehen, Todessehnsucht, oder hat er sich einfach nur verirrt? Wir werden es vielleicht nie erfahren. Für den Moment jedoch hat Brighton, bis eine Rettungsaktion gestartet ist, eine einzigartige neue Touristenattraktion. Andrew Griffiths für die Morgennachrichten.«
    Die Kamera glitt über den Körper des Tiers und an seinem Schwanz vorbei aufs Meer hinaus.
    »Siehst du auch, was ich sehe?«, hauchte Dereks Stimme in Roddys Ohr. »Da ist eine Furche im Kies.«
    »Aber – das ist erstaunlich.«
    »Noch nie da gewesen.«
    Ein Kochutensil trat an die Stelle des gestrandeten Wals. Roddy schaltete den Fernseher aus und ließ sich schwer auf Joes Schreibtischstuhl sinken. Derek und er schwiegen.
    »Und, was ist das große Geheimnis?«, fragte Joe von der Tür her.
    Roddy antwortete nicht. Er sagte Derek, er würde versuchen, in drei Stunden in Brighton zu sein, und bat seinen Freund, Polizei, Tierschutz und Küstenwache zu informieren, dass er unterwegs sei. Und er gab ihm Anweisungen, welche Dinge er bei seiner Ankunft vorfinden wollte: Medikamente, Betäubungsmittel, Instrumentenkoffer für Proben, eine Kamera mit reichlich Filmmaterial, Messgeräte, eine Leiter, einen CD -Player und Yo-Yo Mas Aufnahme von Bachs Cello-Suiten. Roddy hatte über die Jahre mit etwa einem Dutzend gestrandeter Wale zu tun gehabt, und er hatte sich bestimmte Techniken angeeignet. Er verließ Joes Büro und ging eilig über den Pier zurück. Joe bemühte sich, Schritt zu halten.
    »Was ist denn eigentlich so Besonderes daran?«, fragte er.
    »Es ist ein Pottwal – es kommt
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