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Tief

Tief

Titel: Tief
Autoren: Mike Croft
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viel feiner, im Moment prasselt es ja fast auf seinen Rücken …«
    »Mhm.«
    »Wir brauchen einen feinen Sprühnebel, der ihn ganz einhüllt. Ist das möglich?«
    »Wird sofort erledigt.«
    »Danke.«
    Der Feuerwehrmann trottete davon.
    »Toller Anblick, was?«, sagte Kamala und nickte zu dem Pottwal hinüber.
    »Gott, ja, ich glaube, ich sage ihm mal Hallo. Haben Sie alles zusammen, was ich angefordert habe?«
    »Ich habe riesige Mengen von allem, machen Sie sich keine Sorgen. Aber halten Sie es wirklich für notwendig, ihn mit Musik zu berieseln?«
    Überrascht zog er eine Augenbraue hoch. Natürlich ist es notwendig, dachte er – es ist wissenschaftlicher Standard. Um die Frage nicht beantworten zu müssen, lächelte er sie an und begab sich zum Wal. Interessiert verfolgte die Menschenmenge jede seiner Bewegungen. Langsam ging er von der Seite auf das Tier zu, damit es ihn kommen sah.
    »Alles in Ordnung, alter Junge«, murmelte er. »Okay.«
    Du lieber Himmel … Ich habe noch nie einen voll ausgewachsenen Pottwal außerhalb des Wassers gesehen. Er ist ja unglaublich riesig …
    Das Auge des Geschöpfs, das über seiner tief angesetzten, etwa drei Meter langen Schnauze saß, war reglos. Intensiv musterten sich die beiden unterschiedlichen Wesen. Du wundervolle, wunderschöne Kreatur, dachte Roddy unwillkürlich. Er brach den Blickkontakt als Erster ab und ging nach hinten zur Schwanzflosse. Bis dorthin waren es sechsundzwanzig Schritte, also etwa neunzehn oder zwanzig Meter, rechnete er. Wahrscheinlich wiegt er etwa fünfzig Tonnen. Ach, du liebe Güte. Fünfzigtausend Kilogramm Materie nur für ein einziges Lebewesen … Es handelte sich bestimmt um einen ausgewachsenen Bullen, das bewies allein die Größe, aber auch die langen weißen Narben, die sich quer über den Kopf zogen, zeugten von den üblichen Auseinandersetzungen mit den anderen Bullen. Neben der Schwanzflosse blieb er stehen und betrachtete den Graben, den der Wal in den Kies gezogen hatte. Wow!
    Um den etwa sieben Meter breiten Schwanz herum ging er wieder zum Kopf des Tiers zurück, wobei er seine Hand über die Haut gleiten ließ. Dunkelgrau und wie ein Autoreifen mit Furchen in einem hydrodynamischen Muster versehen, bedeckte sie massive Muskelblöcke, die großartigen natürlichen Motoren für die mächtige Schwanzflosse. Biegsame »Knöchel« lagen am Rücken des Tieres zwischen dem Schwanz und der verkümmerten Rückenflosse. Die Schwimmflossen waren kurz und dick, und vor ihnen lag der Kopf … Gigantisch und eckig, mit einem riesigen Maul und einem asymmetrischen Blasloch oben, beanspruchte er mehr als ein Drittel der Länge des gesamten Körpers. Darin befand sich das komplexeste und am höchsten entwickelte Hirn im gesamten Tierreich, und er enthielt auch das Walrat, ein einzigartiges Organ voller Öl, das wie eine akustische Linse die Schallwellen zur Echolotung per Ultraschall leitete. Als Kommunikations- und Ortungsmittel war es so großartig, dass das Sonarsystem eines U-Boots daneben wie zwei mit einer Schnur verbundene leere Konservendosen wirkte. Und es war eine Quelle des feinsten natürlichen Schmiermittels, eines Öls, das auch unter extremen Witterungsbedingungen seine Viskosität behielt. Für die Walfänger des neunzehnten Jahrhunderts war seine Gewinnung so profitabel gewesen, dass sie die Spezies dezimiert hatten. Einmal hatte Roddy durch ein Megafon der norwegischen Delegation zur Internationalen Walfang-Kommission zugebrüllt, wie sie sich wohl fühlen würden, wenn neun von zehn Norwegern wegen ihres Ohrenschmalzes umgebracht würden?
    Roddy blieb direkt vor dem unbewegten Auge des Pottwals stehen. Aus dem Meerwasser, das sich über sie beide ergoss, wurde ein feiner Sprühregen.
    »Du bist mit Hochgeschwindigkeit auf den Strand geschwommen«, flüsterte er. »Du hättest dabei umkommen können. Warum hast du das getan?«
    Blackfin erwiderte seinen Blick. Keiner von beiden verstand den anderen, aber eines wusste Blackfin: Er hatte diesen Mann schon einmal gesehen; vor vielen Jahren, als sie beide noch jung waren.
    *  *  *
    Der künstliche See im St James’ Park schimmerte grünlich unter dem bleigrauen, sonnenlosen Himmel. Die aufgeplusterten Vögel auf dem Wasser machten keine Anstalten, das Futter aufzunehmen, das die Touristen ihnen hinwarfen. Eine Gruppe schmuddeliger Teenager stand mitten auf der Brücke und warf mit Stöckchen nach einem der berühmten Pelikane von St James; sie lachten, als eines ihn
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