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The Walk: Durch eine zerstörte Stadt (German Edition)

The Walk: Durch eine zerstörte Stadt (German Edition)

Titel: The Walk: Durch eine zerstörte Stadt (German Edition)
Autoren: Lee Goldberg
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aus der Luft gesehen, wenn er aus New York oder Hawaii kommend auf dem Los Angeles Airport landete. Von oben sahen die Wolkenkratzer aus wie ein Haufen Unkraut, das durch Risse auf den Parkplätzen nach oben drängte. Es würde nicht besonders schwierig werden, ihnen aus dem Weg zu gehen. Er würde sich Richtung Norden halten, das Verwaltungsviertel an der 1st Street durchqueren und dann dem Hollywood Freeway bis zurück ins Tal folgen.
    Dieser handfeste Plan und seine Sporttasche mit der Notversorgung gaben ihm das Gefühl, die Situation unter Kontrolle zu haben. Es tat gut zu wissen, dass sich die tektonische Plattenverschiebung der Erdkruste durch klares Denken, abgefülltes Mineralwasser und eine Thomas-Brothers-Straßenkarte zähmen ließ.
    Für gewöhnlich gab es nicht mehr viel Verkehr in dem Industriegebiet rund um die Santa Fe Avenue, denn Industrie gab es hier mittlerweile auch keine mehr. Jetzt waren nur einige wenige Autos entlang der Straße wahllos über die Fahrbahn verteilt, als hätte ein gelangweiltes Kind seine zerbeulten Matchboxautos auf den Boden geworfen, um etwas anderes zu spielen.
    Marty näherte sich einem Crown Vic, der dort, wo der Asphalt sich wölbte und in rissige Schollen zerbrach, auf der Seite lag, die Räder drehten sich noch langsam. Der fettleibige Fahrer, ein Mann mittleren Alters, war noch am Leben, er saß angeschnallt und mit vor Schock weit aufgerissenen Augen auf seinem Sitz, sein Kopf ruhte auf dem blutbefleckten Airbag wie auf einem Kissen, das Radio lief.
    »Sie sind tot … sie sind alle tot. Überall ist Feuer. Ich komm nicht raus. Harvey … er brennt. Er ist hinter der Scheibe und er brennt. Er brennt lichterloh. Oh Gott. Oh Scheiße. Wenn er nicht aufhört, gegen das Glas zu schlagen, wird es noch zerbrechen! Stopp! Siehst du nicht, dass es schon Risse kriegt? Stopp! Verdammt, Harvey! Bitte!«
    Der Fahrer schien das nicht zu hören, und wenn doch, so hielt er es wohl für beruhigende Musik. Marty war nicht mit solch wohligen Sinnestäuschungen gesegnet. Der Schrecken leckte wie Rauch aus den Radioboxen, und er wollte ihn nicht einatmen.
    Er ging geradewegs weiter, an dem Auto vorbei, und versuchte, dem verzweifelten Radiomoderator nicht zuzuhören, was ihm jedoch nicht gelang.
    »Oh Gott, es bricht, verdammte Scheiße! Oh Gott. Oh verdammt! Ich will nicht sterben! So hilf mir doch jemand!«
    Marty beschleunigte seine Schritte, stolperte über Risse und Steinbrocken, bis er die Stimme nicht mehr hören konnte und das flehentliche Bitten des Radiosprechers von lautem Schluchzen, Stöhnen und Schmerzensschreien gedämpft wurde, die von einem Parkplatz weiter vorne zu ihm schallten.
    Mehrere Dutzend Arbeiter waren hinter einem schmiedeeisernen Zaun mit Stacheldrahtkrone gefangen und saßen dicht zusammengekauert in größtmöglicher Entfernung zu dem Gebäude, dem sie gerade entronnen waren und dessen Wände aus vorgefertigten Betonplatten unter dem eingestürzten Dach einknickten. Über und über mit Gips und Blut verschmiert umarmten sie einander, gefangen in ihrer Angst und ihrem Leid.
    Schau nicht hin, sagte Marty zu sich selbst. Geh weiter.
    Er wusste, Anblicke wie dieser würden sich ihm noch etliche bieten. Horrorszenen einer grausigen Geisterbahnfahrt. Er durfte nicht riskieren, dass ihm auch nur eine davon zu naheging. Die einzige Person, um die er sich zu kümmern hatte, war Beth. Das war sein moralischer Imperativ als guter Ehemann.
    Er tat also genau das Richtige. Sich durch das Elend anderer von seinem moralischen Imperativ ablenken zu lassen, wäre die eigentliche Sünde.
    Vor ihm spannte sich die 4th Street in weitem Bogen über die Santa Fe Avenue, überquerte den L. A. River und verschwand Richtung Boyle Heights. Die Betonbrücke stand noch, anders als ihre große Schwester zwei Blocks weiter südlich, aber als Marty näher kam, konnte er einen bedenklichen Riss erkennen, aus dem feiner Staub auf die Straße rieselte. Vielleicht war der Schaden rein kosmetischer Natur, aber das Risiko war es nicht wert.
    Marty nahm die erstbeste Seitenstraße. Sie war nicht viel breiter als eine Gasse, gesäumt von ausgebrannten, verfallenen Fabrikgebäuden. Auf halber Strecke versperrte ein übler Verkehrsunfall den Weg. Ein Sattelzug war über einen dieser kastenförmigen alten Volvos gefahren, hatte sich dann überschlagen und war durch die Wand einer verlassenen Frachtstation gekracht.
    Er konnte nur vermuten, dass die beiden Fahrzeuge im Moment des Bebens gerade
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