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The Longest Way: 4646 Kilometer zu Fuß durch China (German Edition)

The Longest Way: 4646 Kilometer zu Fuß durch China (German Edition)

Titel: The Longest Way: 4646 Kilometer zu Fuß durch China (German Edition)
Autoren: Christoph Rehage
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freute. Juli.

EIN GEFÄHRTE
    Der Weg nach Baoding ist fast vollkommen gerade. Nur in den Ortschaften, die an ihr aufgereiht sind wie staubgraue Perlen auf einer langen Kette, macht die Fahrbahn zuweilen einen Schlenker. Die Fahrer scheinen sich dafür jedoch nicht sonderlich zu interessieren, und alle Autos, Laster, Busse und dreirädrigen Lieferwagen rasen ungebremst an den Dorfbewohnern vorbei. Meist hupen sie dabei wie wahnsinnig.
    Ich beschließe, mir das Treiben eine Zeit lang von der Seite anzugucken, und setze mich auf einen Stuhl in einem Hof, in dem Möbel verkauft werden. Den Blasen an meinen Füßen tut die Pause gut. Überall stehen eingeschweißte Sofas und Sessel herum, und nach einem Moment erscheint die Besitzerin, schaut überrascht und bietet mir schließlich einen Tee an.
    Dann kommt Niuniu angehumpelt.
    Niuniu ist eine schwarze, zottelige Jammergestalt von einem Hund. Schon von Weitem sieht man, dass ihre Gliedmaßen irgendwie eine seltsame Form haben. Wenn sie dann schwanzwedelnd näher kommt, wird deutlich, dass ihre Vorderpfoten im rechten Winkel abgeknickt sind. Und wer sie gestreichelt hat, weiß, dass das Helle die Knochen sind, die es bei der Wundheilung nicht zurück in den Körper geschafft haben.
    »Sie hat großes Glück gehabt!«, sagt die Besitzerin und schiebt einen Stuhl neben meinen. Wir betrachten über unsere Teebecher hinweg die Autokolonnen auf der Hauptstraße, während Niuniu rücklings auf dem Boden liegt und sich streicheln lässt. Ihre kleine rosa Zunge flitzt vergnügt auf ihrer Nase hin und her. Die Besitzerin erzählt: »Wir haben Niuniu sehr gern, aber sie war immer sehr lebhaft, und wir konnten sie nur schlecht davon abhalten, dauernd von unserem Hof auf die Straße zu rennen. Die Autos fahren hier sehr schnell. Irgendwann ist es dann passiert.«
    »Und der Tierarzt konnte sie retten?«
    »Ach was, Tierarzt, wir sind hier auf dem Land! Ich habe sie eingesammelt und mit ins Haus genommen. Ich hätte ja nicht gedacht, dass sie überleben würde, aber nach ein paar Tagen war sie immer noch lebendig. Zum Kacken und Pinkeln musste sie rausgetragen werden. ›Niuniu, kacken?‹, habe ich gerufen, und wenn sie den Kopf gehoben hat, wollte sie raus. Sie ist ein sehr freundlicher Hund.«
    »Läuft sie immer noch so gern auf die Straße?«
    Die Besitzerin guckt verblüfft, dann lacht sie. »Zum Glück nicht! Ich glaube, das hat sie gelernt.«
    Ein paar Kilometer weiter komme ich an einem Schäferhundmischling vorbei, der im Staub an einem Telefonmast angebunden ist. Er rennt im Kreis, springt mit Wucht in die Kette und bellt den vorbeifahrenden Fahrzeugen hinterher. Das Tier sieht verzweifelt aus, und ich frage mich, was mit ihm passieren wird. Vielleicht hat Niuniu es doch nicht so schlecht getroffen?
    Nachdenklich und mit schmerzenden Füßen laufe ich an der Landstraße entlang, als ein Fahrradfahrer neben mir auftaucht, der nicht so recht in das Straßenbild passen will: Er fährt ein modisches Mountainbike, ist in eine dunkelblaue Outdoorjacke gekleidet und hat eine beigefarbene Schirmmütze auf dem Kopf. Sein gepflegter Bart lässt ihn für mich irgendwie aussehen wie einen Japaner. Ah, ein Japaner, denke ich, während er langsam von links an mir vorbeizieht und mich ungläubig bestaunt.
    Als ich »Hello!« sage, erscheint ein scheues Lächeln auf seinem Gesicht. Dann beschleunigt er, sodass er bald im Verkehr verschwunden ist. Nach ein paar Hundert Metern sehe ich ihn wieder. Der Japaner hat die Füße auf dem Boden abgesetzt und macht sich an seinem Tacho zu schaffen. Ich denke, er hat wahrscheinlich Lust, sich zu unterhalten, und richtig. »Kannst du Chinesisch?«, fragt er mich, und er spricht es langsam und überdeutlich aus, während ich ihn in meinem Fußgängertempo überhole. Wohl doch kein Japaner , denke ich seltsam enttäuscht. Als ich seine Frage bejahe, hellt sich seine Miene auf, und er rolltlangsam auf seinem Fahrrad neben mir her, um mir mehr Fragen zu stellen.
    »Du kannst also Chinesisch!«
    »Ein bisschen, ja.«
    »Und du kommst aus …?«
    »Ich komme aus Deutschland, und ich habe in Beijing gewohnt.«
    »Und wo gehst du jetzt hin?«
    »Nach Baoding!«
    Er grinst und steigt ab. »Genau da will ich auch hin! Ich heiße Zhu Hui!«
    Der will da auch hin? Natürlich, die Straße G308 führt nun mal direkt von Beijing nach Baoding. Und wie werde ich den jetzt wieder los? Ich will nicht mit irgendjemandem zusammen laufen, schon gar nicht mit einem
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