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The Longest Way: 4646 Kilometer zu Fuß durch China (German Edition)

The Longest Way: 4646 Kilometer zu Fuß durch China (German Edition)

Titel: The Longest Way: 4646 Kilometer zu Fuß durch China (German Edition)
Autoren: Christoph Rehage
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Fahrradfahrer, den ich überhaupt nicht kenne.
    »Ich gehe aber nicht direkt nach Baoding, sondern schaue mir auf dem Weg noch andere Sachen an. Und außerdem bin ich sehr langsam!«, erkläre ich, und es ist ein etwas hilfloser Versuch, ihm die Idee mit der gemeinsamen Lauferei auszureden.
    »Hmm … was willst du dir denn angucken?«
    »Da vorn kommen zum Beispiel die Zwillingspagoden von Zhuozhou.«
    »Gut, dann begleite ich dich!«
    In der mittelgroßen Stadt Zhuozhou beschreibt die Straße eine lange Kurve, die beidseitig von Geschäften und Gasthäusern gesäumt wird. Bunte Schriftzeichen prangen auf Backstein und Beton, dazwischen wuseln Fahrradfahrer und Fußgänger hin und her – nur von den berühmten Pagoden ist auf der Hauptstraße weit und breit nichts zu sehen. Mein neuer Mitreisender fragt jemanden nach dem Weg, und wir biegen in eine Gasse ein, die durch ein Labyrinth aus mehrstöckigen Mietskasernen führt.
    Ich entziffere eine Werbung für Elektrogeräte auf einer weiß getünchten Mauer: JUBAOYUAN, Schatzquelle, steht dort, darunter stehen eine Wegbeschreibung zu einem Elektrogeschäft und eine Telefonnummer. Was für ein klangvoller Name für einen Laden, der wahrscheinlich Ventilatoren und Nasenhaarschneider verkauft, denke ich kichernd, da zupft mich Zhu Hui aufgeregt am Arm und deutet nach vorn, auf das Ende der Gasse. Und tatsächlich: Dort steht sie, eine einsame Pagode, nicht viel höher als die Häuser um sie herum, umgeben von einem zarten Netz aus Baugerüsten wie von einem überdimensionierten Trauerschleier.
    Zu unserem großen Bedauern ist sie wegen Renovierungsarbeiten für Besucher geschlossen, aber es gibt ja noch ihre Schwester ein paar Straßen weiter. Als wir das Tor der zweiten Pagode erreichen, hören wir die Stimmen einiger älterer Damen, die sich angeregt unterhalten. Bei unserem Erscheinen werden sie schlagartig stumm und beobachten jede unserer Bewegungen mit argwöhnischen Blicken. Zhu Hui schließt umständlich sein Fahrrad ab.
    »Tante, entschuldige bitte«, wendet er sich schließlich höflich an diejenige der Damen, die mit ihrem strengen Blick wie die Anführerin aussieht, »ich würde gern wissen, ob diese Pagode Eintritt kostet.«
    »Ihr könnt hier nicht rein!«, blafft sie und erhebt sich von ihrem Sitz. Es ist klar: Sie ist hier die Anführerin, und dies ist ihre Pagode, die sie gegen uns Eindringlinge zu verteidigen bereit ist.
    Wir sind verwirrt. »Und warum nicht?«, fragt Zhu Hui.
    »Hier wird renoviert.«
    »Aber hier sind doch gar keine Baugerüste zu sehen!«
    »Guck auf das Schild!«, entgegnet die Anführerin.
    An der hohen Mauer, die uns von der Pagode trennt, hat jemand eine rostige Plakette angebracht. ZUTRITT VERBOTEN steht da in ungelenker Schrift, und darunter: VORSICHT VOR DEN HUNDEN!!! Die drei Ausrufezeichen fallen so erbärmlich nach unten ab, dass es aussieht, als wäre die Person während des Schreibens von den Bestien zu Boden gerissen worden.
    Ich bin untröstlich, dass ich die Pagode nicht näher betrachten kann, denn sie stammt noch aus der Zeit der Liao-Dynastie vorfast genau tausend Jahren, als dieser Teil Chinas in der Hand des Reitervolks der Khitan war. Die Khitan waren eifrige Buddhisten und talentierte Krieger, deren Herrschaft mehr als zweihundert Jahre andauerte, jedoch wurden sie in den folgenden Jahrhunderte, als Dschingis Khans Armeen über die Welt herfielen, in alle Winde zerstreut und verschwanden schließlich ganz. Nur einige wenige ihrer Bauwerke haben bis heute überdauert, darunter ebendiese beiden Pagoden in Zhuozhou.
    Während ich einen Winkel suche, um über die Mauer hinweg ein paar halbherzige Fotos von dem ehrwürdigen Gebäude zu machen, höre ich, wie die Damen untereinander tuscheln und sich schließlich die Anführerin an meinen Begleiter wendet. »Sag mal, woher kommt der eigentlich, dein ausländischer Freund?«, fragt sie, doch bevor er antworten kann, fügt sie schon verschwörerisch hinzu: »Und wo ist überhaupt sein Fahrrad?«
    An diesem Tag halte ich es für das Beste, nicht weiterzugehen, sondern lieber im Ort eine Übernachtungsmöglichkeit zu suchen. Die Blasen an meinen Füßen machen mir zu schaffen, und vor allem an den beiden kleinen Zehen fühlt es sich bei jedem Schritt an, als würde mich jemand mit einem kleinen glühenden Hämmerchen traktieren. Zhu Hui ist mit einer Übernachtung in Zhuozhou einverstanden, zumal ihm eingefallen ist, dass er hier noch etwas vorhat. »Eine Verabredung«,
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