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The Longest Way: 4646 Kilometer zu Fuß durch China (German Edition)

The Longest Way: 4646 Kilometer zu Fuß durch China (German Edition)

Titel: The Longest Way: 4646 Kilometer zu Fuß durch China (German Edition)
Autoren: Christoph Rehage
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Imbissbuden und Läden entlang einer nicht enden wollenden Straße. Dazwischen wuseln Fahrradfahrer und Fußgänger hin und her, und das eine oder andere Auto versucht sich langsam seinen Weg durch das Gewimmel zu bahnen.
    Die Vorfreude auf eine Schüssel Nudeln beschleunigt meine Schritte. Könnte nicht der ganze Weg bis nach Deutschland so sein? Eine einzige Aneinanderreihung von Fressständen, zehntausend wohlschmeckende Kilometer lang?
    Im Handyladen werde ich von den Verkäuferinnen skeptisch beäugt, weil ich gleich mehrere Telefonkarten auf einmal kaufen will. Ich zähle eine Handvoll rosafarbene Banknoten ab und tausche sie gegen zehn bunte Karten mit dem Logo der Olympischen Sonmerspiele, die in neun Monaten in Peking stattfinden werden, die ersten Spiele in China überhaupt. Dann gehe ich in ein kleines Nudelrestaurant auf der gegenüberliegenden Straßenseite, stelle meinen Rucksack auf einem Stuhl ab, lege die Kameras vorsichtig dazu, öffne die Jacke und das Fleece, bestelle mir eine kalte Pepsi und eine Schüssel heißer Nudeln, falte die Hände vor dem Gesicht und mache einen Moment Pause. Meine Gedanken kreisen um Juli.
    Unser Kennenlernen kam zugegebenermaßen eher unromantisch zustande. An einem Frühlingstag vor fast zwei Jahren hätte ich eigentlich im Chinesischunterricht in Beijing sitzen sollen, doch stattdessen trieb ich mich in der schwülen Hitze der südchinesischen Stadt Chengdu auf der Suche nach etwas Leckerem herum. Dies alles war Teil eines Plans: Anstatt meine Zeit mit den anderen Ausländern im Sprachkurs zu verschwenden, wollte ich lieber das Land bereisen und so viele Köstlichkeiten wie nur möglich in mich hineinstopfen.
    An jenem Tag in Chengdu hatte ich auf einem meiner Spaziergänge ein Mädchen in einem geblümten Kleid nach dem Weg gefragt, und aus ein paar gewechselten Worten war eine spontane Verabredung zum Essen geworden. So einfach geht das , dachte ich, als ich wenig später mit ihr bei einem traditionellen Feuertopf zusammensaß, und es sah auch wirklich alles sehr vorteilhaft für mich aus: Ting war adrett und geistreich, und in dem Topf zwischen uns schwammen Chilischoten in einer Brühe, deren dunkelrotes Brodeln ungefähr der Vorfreude in meinen Lenden entsprach.
    Doch dann ging alles schief.
    »Du machst wohl Witze!«, prustete sie heraus, nachdem ich eine geschickte, aber eindeutige Avance platziert hatte. Ihr Gesichtsausdruck sah eher amüsiert als schockiert aus. »Ich bin gerade erst achtzehn, und meine Eltern wohnen gleich da vorn um die Ecke!«
    »Ja, aber …«
    »Kein Interesse!«
    Autsch.
    Man muss auch verlieren können, dachte ich bei mir. Doch zu meinem Bedauern wurde die Niederlage noch dadurch verstärkt, dass ich das Essen offenbar nicht gut vertragen hatte. Nach einer hastigen Abschiedsszene wollte ich nur noch so schnell wie möglich zurück in mein Hotel. Ich war mir sicher, dass ich von diesem Mädchen nie wieder auch nur ein Sterbenswörtchen hören würde.
    Dementsprechend groß war meine Überraschung, als ich ein paar Wochen später die enthusiastische Mitteilung erhielt, dass sie mir gern zwei ihrer Freundinnen in Beijing vorstellen wolle; die eine lerne gerade Deutsch, zur Vorbereitung auf ihr Studium in Deutschland.
    Moment, hatte ich da etwas falsch verstanden? Sie musste doch gemerkt haben, worauf ich es abgesehen hatte!
    »Mit Vergnügen!«, antwortete ich.
    Wenige Wochen später saß ich abends zwischen den beiden Freundinnen von Ting auf meiner Couch vor dem Fernseher. Die Ältere hatte einen wirren Film über einen verknallten Transvestiten in der DDR mitgebracht und redete ununterbrochen über ihre Vorstellung von der unsterblichen Liebe, während die Jüngere die meiste Zeit über verschüchtert schwieg. Ich für meinen Teil war damit beschäftigt, mir einen Plan zurechtzulegen, wie ich die beiden zu einem Dreier überreden könnte. Der Abend wurde länger und länger, der Film verwirrte sich hoffnungslos in seiner Handlung, und irgendwann hatte das Mädchen mit der unsterblichen Liebe dann tatsächlich ihre Hand in meiner Hose und kicherte aufgeregt, während das stille Mädchen offensichtlich peinlich bemüht war, den Blick abzuwenden.
    Es wurde natürlich keine erotische Nacht daraus, aber etwas anderes passierte. Als das Mädchen mit der unsterblichen Liebe einen Moment lang draußen war, entlockte ich dem stillen Mädchen einen Kuss: zaghaft, sanft und sehr lang. Sie hatte tiefschwarze Augen, die leuchteten, wenn sie sich
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