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The Doors

The Doors

Titel: The Doors
Autoren: Greil Marcus
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übernahmen. »Abenteuer«, »Risikobereitschaft«, »eine neue Welt« – das waren Embleme, wie sie keine konservative Bewegung seit den 1930er-Jahren verwendet hatte, als sich die Bewegungen, die mit derlei Begriffen operierten, als faschistisch bezeichneten. Im Unterschied zu ihren offiziellen politischen Vorfahren – die republikanischen Präsidenten Warren Harding, Calvin Coolidge, Herbert Hoover, Dwight D. Eisenhower und Richard Nixon oder die konservativen Premierminister Winston Churchill und Anthony Eden – waren Reagan und Thatcher Utopisten. Ohne die Sixties und ohne die 1960er-Jahre, ohne die Idee und ohne die tatsächlich gelebten Jahre wären Reagan und Thatcher unmöglich, ja undenkbar gewesen: Die beiden konnten es sich nicht erlauben, diese Ära sterben zu lassen.
    Etwa zu der Zeit, als Oliver Stones The Doors in die Kinos kam, bat mich ein neunzehnjähriger Freund, ihm bei einem College-Paper über die 1960er-Jahre zu helfen. Ich kannte den Jungen seit seiner frühesten Kindheit, und nun, 1991, wollte er über das San Francisco des Jahres 1967 reden, über die Haight-Ashbury-Szene, über die Grateful Dead – nicht weil dies Dinge aus grauer Vorzeit waren, sondern weil sie das gerade nicht waren. Er kannte jede Menge Deadheads, die in seinem Alter waren. Er wollte verstehen, was das mit ihm zu tun hatte: Warum zogen sich seine Freunde so an, wie sich ihre Eltern vor fünfundzwanzig Jahren angezogen oder auch nicht angezogen hatten, und warum besuchten sie dieselben Konzerte? Ich erklärte ihm, wie sonderbar mir das vorkam – wie unmöglich es für mich und meine Freunde gewesen wäre, 1965 mit Schlips und Anzug herumzulaufen und uns als Benny-Goodmanheads oder auch als Billie-Holidayheads zu bezeichnen. Er verstand mich nicht. Ich versuchte, ihm von Pump Up the Volume zu erzählen, von der Möglichkeit, dass aus einer kulturellen Einöde etwas Neues erwachsen könne, doch auch damit schien er nichts anfangen zu können.
    Meine ältere, nur wenige Tage nach Altamont geborene Tochter war 1991 einundzwanzig – meine hochschwangere Frau hatte es vorgezogen, zu Hause zu bleiben, weil wir dachten, wir müssten das Baby Mick nennen, wenn es bei dem Konzert zur Welt käme, und weil wir gehört hatten, dass sich dort Hell’s Angels aufhalten würden, und wir wussten, was das für Typen waren. Während ich meine beiden Töchter heranwachsen sah, registrierte ich das erstaunliche Beharrungsvermögen einer verflossenen Ära, das nicht abzunehmen, sondern eher noch zuzunehmen schien. Ich betrachtete das als eine Form von Unterdrückung. Es kam mir so vor, als hätten meine Kinder erst dann eine Chance, ihre eigene Kultur zu erschaffen, ihre eigene Geschichte zu machen, wenn die Sixties endlich dort gelandet waren, wo sie hingehörten: in der Mottenkiste. Wer ein Teenager oder Anfang bis Mitte zwanzig war, als die Doors – zwei Jahrzehnte nach ihrem Ableben – als The Doors wiederauferstanden, der war zu bedauern, denn diesen jungen Leuten war ihr Leben lang weisgemacht worden, von Filmen und Büchern, vom Fernsehen und vom Radio, dass die Sixties die Zeit waren, aus der alles Wesentliche herrührte, die Zeit, in der die Grundsteine für die bescheidenen Bekundungen von Kunst und Politik gelegt worden waren, von denen sie sich womöglich einbildeten, sie seien auf ihrem eigenen Mist gewachsen. Denjenigen, die eine Generation jünger sind als ich, ist immer wieder erzählt worden, dass der Sound, von dem sie lediglich das Echo beanspruchen könnten, nur ein einziges Mal ertönt sei und dass er nie wieder ertönen werde. Wenn die Leute 1991 das Radio einschalteten oder wenn sie es heute einschalten und Buffalo Springfields »For What It’s Worth« hören, sei es die 1966 veröffentlichte Originalaufnahme oder den darauf basierenden Werbespot
Anmerkung
, wenn sie einen Song hören, der von den Straßenschlachten inspiriert war, die es 1965 auf dem Sunset Strip gegeben hatte, und der die Zeilen »There’s something happening here / What it is ain’t exactly clear« enthielt, dann ist eins klar: Man soll spüren, dass etwas geschehen ist, was heute nicht mehr geschieht. Man ist zur falschen Zeit geboren worden; man hat es verpasst. »Einer meiner ersten bewussten Gedanken als Rockkritikerin«, schrieb die zu den besten ihres Fachs zählende Gina Arnold 1991, »lief darauf hinaus, wie bedauerlich es war, dass meine Teenagerzeit in die Siebzigerjahre fiel – dass ich zu spät geboren worden war, um die
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