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Teufelskanzel - Kaltenbachs erster Fall

Teufelskanzel - Kaltenbachs erster Fall

Titel: Teufelskanzel - Kaltenbachs erster Fall
Autoren: Gmeiner-Verlag
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60 ist, ist noch nicht weise, drum mach dich weiter auf die Reise … «
    Die Menschen verhielten sich in jungen Jahren wie Siddhartha, der indische Prinz, der Krankheit, Alter und Tod nicht kannte. Vielleicht musste es so sein, dachte Kaltenbach, vielleicht musste Ungestüm und Illusion uns begleiten und vorwärtstreiben. War es nicht das tragische Schicksal des Menschen, dass – anders als sein Leib, den die Biologie ohne unser Zutun aufbaute – die Weisheit ein Gut war, das er selbst erwerben musste?
    Er dachte an die beiden Hästräger, von denen einer jetzt in der kalten Leichenhalle aufgebahrt lag und der andere versuchte, das alles zu begreifen. Sie wollten wissen, wie es wäre, in der Nacht zum Aschermittwoch auf dem Großen Kandelfelsen zu stehen. Also hatten sie es getan. Die Bedenken blieben bei den Alten unten im Tal. Die Alten verstanden das nicht. Wer sein Ziel erreichte, war tot.
    Einer hatte es erreicht.
    »60 Jahr’ wird unser Walter, er macht sich gut für dieses Alter!«
    Kaltenbach war erleichtert, als Walter pünktlich zur gewohnten Zeit um halb neun kam. Er warf seine abgewetzte Lederjacke auf die Sitzbank und setzte sich auf die Eckbank.
    Walter war deutlich älter als die anderen drei, doch das tat ihrer Freundschaft keinen Abbruch. Neben Frau Kölblin war er es gewesen, der ihn damals in die Emmendinger Szene eingeführt und seine unzähligen Kontakte mit ihm geteilt hatte.
    Dieter ließ die Zettel mit den Gedichten unauffällig in seiner Tasche verschwinden und wechselte das Thema. »Also, vor allem diesen einen Song finde ich klasse, dieses ›Bam-da-dammbam-da, bam-da-damm … ‹«
    »Wie heißt der?«, unterbrach ihn Markus geistesgegenwärtig.
    »Keine Ahnung, hab ich erst vorgestern gehört. ›Kopfhörer‹ auf SWR1.« Der Hinweis auf die Aktualität der Musik war ein geschickter Schachzug, denn den ganzen ›modernen Mist‹ lehnte Walter kategorisch ab. Er schwor auf Irische Folklore und Degenhardt.
    »Hab ich was verpasst?«
    Markus war froh, das Thema nicht vertiefen zu müssen. »Nö«, sagte er rasch und blinzelte Kaltenbach zu. »Wir sind noch in der Aufwärmphase.« Beide lachten. Die vier waren seit Jahren ein eingespieltes Team, das keine Geheimnisse voreinander hatte. Es sei denn, es ging darum, den anderen zu überraschen. Oder auf die Schippe zu nehmen.
    Wie gewohnt hielt sich Walter nicht lange mit Vorreden auf. »Springt da einer vom Kandelfelsen! Darauf muss man ja erst mal kommen. Nachts und in der Kälte.« Er krempelte die Ärmel seines schwarzen Rollkragenpullis hoch und legte die Ellbogen breit auf den Tisch. »Und dann noch in dieser Hexenverkleidung. Ich denke, der Typ ist nicht ganz dicht.«
    Evangelos brachte die Halbe an den Tisch, die Walter beim Hereinkommen am Tresen bestellt hatte. Er hob seinen Daumen, um sich zu bedanken, und nahm sofort einen tiefen Schluck, dem ein genießerisches »Aaah!« folgte.
    »Was meint er?« Markus schaute verwirrt in die Runde.
    »Liest du keine Zeitung?« Dieter schüttelte den Kopf. »Da ist einer vom Kandel runtergestürzt, tot. Kam sogar im Fernsehen.«
    »Das war Selbstmord, ganz klar.« Walter stellte das halb ausgetrunkene Glas zurück auf den Bierdeckel und wischte sich den Schaum vom Mund. »Das wollen die bloß nicht zugeben, ist schlecht fürs Touristenimage. Der glückliche Breisgau!« Er richtete sich auf und hob seine Stimme ins Theatralische: »Wohnen, wo andere Urlaub machen!« Er grinste süffisant. »Da kann man keine negativen Schlagzeilen brauchen.«
    Kaltenbach dachte an die Sensationshungrigen, die ihn schon gestern Mittag an der Absturzstelle angewidert hatten. Er wandte sich an Dieter, der ihm direkt gegenüber saß. »Du bist doch unser Pragmatiker. Es hieß, es sei ein Unfall, oder?«
    »Klar, ein Unfall. Stand jedenfalls so in der Zeitung. So hat es die Bergwacht gesagt.«
    »Typisch Beamter, glaubt natürlich alles, was die Presse schreibt. Die stecken doch alle unter einer Decke. Das war Selbstmord!« Walter blähte die alten Klassenkampfnüstern. »Allein schon wegen des Kruzifixes. Der hat das alles arrangiert, und sein Kumpel hat ihm geholfen.«
    »Vielleicht war es ja der andere. Der hat ihn runtergeschmissen und will nur ablenken.«
    »Stimmt, das könnte Eifersucht gewesen sein. Die sind hinter demselben Mädchen her, ein kleiner Stoß mit dem Ellbogen und schon bist du den Konkurrenten los.«
    Sofort war eine heftige Diskussion im Gang.
    »Komische Logik. Die können sich nicht
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