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Teufelskanzel - Kaltenbachs erster Fall

Teufelskanzel - Kaltenbachs erster Fall

Titel: Teufelskanzel - Kaltenbachs erster Fall
Autoren: Gmeiner-Verlag
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sehen konnte. Kurze Zeit später hatte die Frau offenbar gefunden, was sie suchte. Sie beugte sich herab und fuhr mit der Hand über den Schnee, ein zwei Mal, wie ein Streicheln. Dann stand sie wieder auf und verharrte, die Hände in den Jackentaschen vergraben, den Kopf gesenkt.
    Kaltenbach war verblüfft. Wer war diese Frau? Und wie war sie dorthin gekommen? Vor allem, was wollte sie? Konnte sie von der Bergwacht sein oder von der Polizei? Vielleicht kam sie gar nicht wegen des Unglücks, sondern wegen des Toten.
    Im selben Moment hatte Kaltenbach das Gefühl, etwas Verbotenes zu tun. Wie heimlich durch ein Fenster das Leben eines fremden Menschen zu beobachten. Er wagte kaum, sich zu bewegen, um den seltsamen Zauber des Bildes nicht zu zerstören.
    Der Anblick der Frau, die noch immer regungslos dastand, ließ ihn nicht los. Erst als es von den Füßen kalt heraufzog, kam er wieder zu sich. Er spürte, dass ihm das linke Bein eingeschlafen war und verlagerte das Gewicht auf die andere Seite. Dabei trat er in einen unter dem verharschten Schnee verborgenen Hohlraum und rutschte ab. Im selben Moment durchzuckte ein heftiger Schmerz sein Knie. Er musste seine ganze Beherrschung aufwenden, um nicht laut aufzuschreien. Mit Schmerz verzerrtem Gesicht versuchte er, die Balance wiederzufinden, rutschte jedoch weiter, verlor vollends das Gleichgewicht und fiel rückwärts in den Schnee wie ein nasser Sack.
    Im ersten Moment befürchtete er, dass ihn die Frau gehört hatte. Er wusste nicht, was ihm unangenehmer war – das heimliche Beobachten einer Fremden oder die groteske Stellung, in die er sich manövriert hatte. Einige Sekunden blieb er regungslos liegen. Dann merkte er, dass es gar nicht einfach war, wieder hochzukommen. Für einen Moment schoss es ihm siedend heiß durch den Kopf, dass keiner von seiner Gegenwart hier wusste. Niemand hatte ihn den Weg herunterklettern sehen.
    Vor etlichen Jahren war eine englische Schulklasse mit ihrem Lehrer unterhalb des Schauinslandgipfels bei Freiburg vom Weg abgekommen, hatte sich verstiegen und in einem plötzlich aufkommenden Schneesturm nicht mehr nach Hause gefunden. Einige waren in der Nacht erfroren, andere trugen schwere Schäden davon. Als die Vermissten schließlich geborgen worden waren, wurde das Entsetzen über diesen tragischen Vorfall noch überschattet von der furchtbaren Erkenntnis, dass der rettende Pfad nur wenige Meter von der Gruppe entfernt gewesen war. Kaltenbach war selbst einmal am ›Engländerdenkmal‹ gewesen, das bis heute die Erinnerung wachhielt. Wie viele andere hatte auch er, als er zum ersten Mal von der Geschichte gehört hatte, dies auf die scheinbare Ignoranz ausländischer Touristen abgeschoben, denselben, die in ihrer Heimat noch nie von Winterreifen oder Schneeketten gehört hatten und die regelmäßig im Winter mit ihren liegen gebliebenen Wohnwagenzügen und Lkw die Straßen um Feldberg und Belchen blockierten.
    Er musste Ruhe bewahren. Es war inzwischen merklich dunkler geworden, die Schatten des Waldes hatten sich zu einer zusammenhängenden, schattenwerfenden Decke vereint. Es wurde empfindlich kalt. Er versuchte, den Schmerz in seinem Knie zu ignorieren, und ruckte vorsichtig hin und her, bis es ihm gelang, seine Schulter ein wenig anzuheben. Nach weiteren schmerzhaften Versuchen bekam er seinen rechten Arm frei, sodass er den dünnen Stamm einer jungen Esche packen konnte. Er schloss die Augen und hoffte inständig, dass das Holz sein Gewicht aushalten würde, und zog sich keuchend Zentimeter für Zentimeter hoch, bis er sich endgültig hochgestemmt hatte.
    Mit keuchendem Atem und heftigem Herzklopfen lehnte er sich an einen Baum, bis er wieder zu Kräften kam. Dann kletterte er auf allen vieren die wenigen Meter hoch zu dem Weg, von dem er abgerutscht war.
    Als er wieder sicheren Tritt unter den Füßen hatte, schüttelte er den Schnee aus seinen Haaren und klopfte Jacke und Hose ab. Das Knie schmerzte höllisch, doch er biss die Zähne zusammen. Er musste sich beeilen, nach oben zu kommen, solange er noch ein bisschen sehen konnte.
    Die Sonne verschwand rasch hinter den aufziehenden dicken grauen Wolken, der Tag hüllte sich in das traurige Grau des Februarabends. Tief unten im Waldkircher Tal flammten die Straßenlaternen auf, in einzelnen Häusern brannte das Licht. Die Silhouette der Strahlenburg war in der aufziehenden Dämmerung bereits kaum mehr zu erkennen.
    Er sah noch einmal zurück zu dem Felsabhang. Die Geröllbrocken
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