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Teufelskanzel - Kaltenbachs erster Fall

Teufelskanzel - Kaltenbachs erster Fall

Titel: Teufelskanzel - Kaltenbachs erster Fall
Autoren: Gmeiner-Verlag
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verklang mit jedem Schritt ein wenig mehr. Nach ein paar Minuten gabelte sich der Weg. Kaltenbach setzte sich auf eine Bank und wartete. Vor zwei Jahren war er auf der Beerdigung von Dieters Vater gewesen. Er hatte den alten Mann nicht gekannt, und es war nichts weiter gewesen als seelischer Beistand für einen Freund. Und heute?
    Er musste an Monika denken. Am Morgen, nachdem sie gegangen war, war ihm die Leere neben sich schmerzlich bewusst geworden. Das qualvolle Wechselspiel zwischen Hoffen, Beschwichtigen und Nicht-Ernst-Nehmen war vorbei. Ihr Weggang war für ihn wie ein Tod gewesen. Die eine Möglichkeit, die er gefürchtet hatte, die nicht sein durfte, war eingetreten. An jenem Morgen hatte ihn das Endgültige überwältigt und mit einem mitleidlosen Schwung alles hinweggefegt, woran er sich geklammert hatte. Was blieb, waren die Erinnerungen, mit denen er versuchte, die Leere zu stopfen. Die Träume waren am hartnäckigsten.
    Nach etwa einer Viertelstunde sah er, wie die Menschen aus der Friedhofshalle herauskamen und sich der Trauerzug in Bewegung setzte. Hinter der Bank führte eine breite Treppe einen steil aufragenden Hügel hinauf zu einer großen Familiengrabstätte. Er kletterte die Stufen hinauf und gelangte durch ein hüfthohes schmiedeeisernes Gitter in den kleinen schattigen Hain. Um eine steinerne Urne waren in den vier Himmelsrichtungen unter tief herabhängenden Buchenzweigen jeweils eine überlebensgroße Säule errichtet worden. Das Ganze wurde bewacht von der Skulptur eines jünglinghaften Kriegers, der sich in Trauer über einen Todeskranz beugte. Ein vollendeter Ausdruck der Ästhetik vergangener Tage, in denen man dieses martialische Gepränge liebte. Vor allem, wenn man es sich leisten konnte. War das die richtige Art, mit dem Unvermeidbaren umzugehen? Es in Stein und Eisen bewahren, um nicht zu vergessen?
    Er betrachtete von oben die Leichenprozession, die sich langsam näherte. Der Pfarrer und seine beiden Gehilfen schritten in ihren liturgischen Gewänder würdevoll vorneweg, unter denen sie sichtlich froren. Den reich mit Blumen geschmückten Sarg schoben vier schwarz uniformierte Friedhofsdiener.
    Gleich dahinter lief die Frau. Er erkannte sie sofort. Obwohl sie in einen dicken schwarzen Mantel gehüllt und ihr Gesicht halb unter einem dunkelroten Schal verborgen war, gab es keinen Zweifel. Ihr Gang, ihre Haltung, die Statur – alles schien ihm vertraut, wie wenn er sie Hunderte Male gesehen hätte. Selbst ihren Blick schien er zu kennen, obwohl er am Kandel ein gutes Stück von ihr entfernt gewesen war. Sie hatte sich bei einem Mann in einem dunklen Wintermantel untergehakt.
    Kaltenbach zog sich ein Stück weiter unter den Schutz der Bäume zurück. Im Vorbeigehen erkannte er einige vertraute Gesichter in der Menge der schwarz gekleideten Trauergäste, vor allem Geschäftsleute aus der Lammstraße und dem Westend, aber auch etliche Kunden seiner Weinhandlung. Gegen Ende kam schnaufend und schwankend Frau Kölblin, die trotz sichtlicher Mühe tapfer versuchte, mit den anderen Schritt zu halten.
    Kaltenbachs Blick ging zurück zu der Frau in der ersten Reihe. Es war offensichtlich, dass sie dem Toten sehr nahe stand. Eine Verwandte? Seine Freundin? Er versuchte, sich an die Sterbeanzeige am Samstag in der Badischen Zeitung zu erinnern. Neben der Familienanzeige gab es Beileidsbekundungen der Stadtmusik und einer Emmendinger Narrenzunft, die ihm in diesem Zusammenhang etwas unpassend erschienen war. Doch es waren zu viele Namen gewesen, als dass sich Kaltenbach an einzelne erinnern konnte.
    Die Spitze des Zuges verschwand jetzt aus seinem Blickfeld. Von seinem Platz unter den Säulen hatte er nun genügend Zeit, den Weg abzukürzen. Der halbherzige Regen hatte inzwischen an Stärke zugenommen. Die Luft war von einer unangenehmen Feuchte durchzogen, die sich auf den Grabsteinen niederließ wie ein nasses Tuch. Zwischen den Grabeinfassungen hatten sich kleine Pfützen und matschige Stellen gebildet. Zweige streiften sein Gesicht, als er sich durch die Büsche zwängte und gleichzeitig versuchte, seinen Schirm nach oben zu halten.
    Die Grabstelle lag nur wenige Schritte vom oberen Friedhofstor entfernt direkt am Waldrand. Auf dem Boden und in das offene Loch hineinragend lagen zwei starke Taue.
    Während sich nach und nach alle Trauergäste so gut es ging um das offene Grab versammelten, mischte sich Kaltenbach unter eine kleinere Gruppe älterer Männer, die etwas abseits stand und
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