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Tentakel-Trilogie 1: Tentakelschatten

Tentakel-Trilogie 1: Tentakelschatten

Titel: Tentakel-Trilogie 1: Tentakelschatten
Autoren: Dirk van den Boom
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umfassendes Wissen einsetzten konnte. Ihn interessierte das Problem an sich. Die Tatsache, dass es eines war. Es reizte ihn. Es war die einzige Herausforderung, die ihn auch emotional werden ließ. Emotionalität drückte sich bei ihm dadurch aus, dass er stundenlang, ohne Unterbrechung, über das Problem zu reden begann, meistens zu sich selbst. Er wusste, dass die Uniformen diese Monologe mitschnitten und sich ganze Teams nur mit dem befassten, was er an Lösungswegen formulierte und verwarf. Es kümmerte ihn nicht. Was seinen Mund verließ, war bereits veraltet. Sein Verstand war schneller, immer zwei bis drei Schritte voraus. Aber das Reden half ihm, die wirbelnden Erkenntnisse zu verarbeiten. Es half ihm, sich zu konzentrieren. Er sortierte sich. Worte waren da nur Abfall, die Zuhörer nicht mehr als die Müllabfuhr. Sollten sie nehmen, was sie durch das Wühlen im Müll fanden, ihm war das gleichgültig.
    Es gab keinen Mangel an Problemen. Meist waren es physisch-technische. Manchmal waren es rein theoretische, oft mathematische. Hin und wieder war es eine Frage der Interpretation von Daten. Aber es gab beständigen Nachschub. War eines gelöst – was oft vorkam – oder eines unlösbar – was sehr selten war –, wurde sofort etwas nachgeschoben. Er fraß Probleme. Er ernährte seinen Verstand durch sie. Ihm war es völlig egal, was die Uniformen anschließend damit anfingen. Den einzigen Lohn, den er erwartete, war, dass sie ihm den Nachschub besorgten, den er benötigte. Dass sie ihn kleideten und ernährten und ihn so ertrugen, wie er war. Abgesehen davon war er bedürfnislos. Hin und wieder schickten sie ihm eine neue Uniform, die versuchte, mit ihm zu sprechen. Wenn die betreffende Person gut war, verzichtete sie auf unnötige nonverbale Kommunikation und sprach klare Sätze mit verständlichen Anliegen. War sie darauf nicht vorbereitet, verschwand sie meist auch sehr schnell wieder.
    Heute war wieder so ein Tag, an dem er eine neue Uniform zugeteilt bekam. Die letzte war gar nicht so übel gewesen, aber offenbar hatte sie kein Interesse mehr an der Arbeit mit ihm gehabt. Wer das Interesse an ihm verlor, verlor meist auch die Geduld, sich korrekt mit ihm auseinanderzusetzen. Es musste dann einen Wechsel geben, denn die Uniformen waren sehr daran interessiert, mit ihm im Gespräch zu bleiben und versuchten, die geeignete Person für diese Aufgabe zu finden.
    Sie nannten es einen »Verbindungsoffizier«, doch für ihn waren sie alle gleich. Eine gewisse Neugierde konnte er nicht verhehlen: War diese Uniform in der Lage, sich ihm gegenüber verständlich zu machen? Würde sie darauf verzichten, eine »persönliche Beziehung« aufbauen zu wollen? Dann würde er sie als intelligent einstufen, in etwa so, wie ein normaler Mensch einen Hund als intelligent bezeichnen würde. Aber das war das höchste Lob, das jemand von Dr. Jan DeBurenberg erhalten konnte, wenngleich er es nie aussprach.
    Capitaine Geraldo Frazier hatte sich dieses Lob noch nicht einmal verdient. Das lag vor allem daran, dass der schlaksige Offizier mit den blassblauen Augen sich neben DeBurenberg gesetzt hatte, als dieser gerade mitten in einem seiner Monologe war. Ohne es zu wissen, hatte er die richtige Entscheidung getroffen und ihn dabei nicht unterbrochen. Erst als der Mittvierziger mit seiner beginnenden Glatze fertig war und seine Aufmerksamkeit auf Frazier gelenkt hatte, ergriff dieser das Wort.
    »Dr. DeBurenberg, mein Name ist Geraldo Frazier. Ich bin Ihr neuer Verbindungsoffizier und möchte mich Ihnen vorstellen.«
    »Angenehm«, kam die knappe Erwiderung, fast mechanisch. DeBurenberg erkundigte sich nicht nach seinem Vorgänger, der es auf diesem Posten immerhin fast ein Dreivierteljahr ausgehalten hatte. Frazier wunderte sich nicht darüber. Er wusste, dass für den genialen Wissenschaftler ein Mensch wie der andere war. DeBurenberg fehlte die Fähigkeit, soziale Beziehungen zu seiner Umwelt aufzubauen, fast völlig. Zudem, so meinten zumindest die Flottenpsychologen, war er nicht in der Lage, Gestik und Mimik zu deuten und den möglichen symbolischen oder tieferen Gehalt von Äußerungen zu entschlüsseln. Er nahm das exakt gesprochene Wort wahr – und er verfügte über einen bemerkenswerten Wortschatz und beherrschte sieben Fremdsprachen fließend – und verstand es auch so. Und nur so. Das bedeutete nicht, dass ihm die Interpretation von Sachverhalten fremd war. Diese Fähigkeit schien jedoch in exakt jenem Moment zu
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