Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Tao Te Puh

Tao Te Puh

Titel: Tao Te Puh
Autoren: Benjamin Hoff
Vom Netzwerk:
Da erblickte sie Willkür. Erkenntnis stellte dieselben Fragen an Willkür.
    Willkür sprach: „Oh, ich weiß es; ich will es dir sagen.“ Aber während sie eben reden wollte, hatte sie vergessen, was sie reden wollte.
    Erkenntnis kehrte zurück zum Schloß des Herrn, trat vor den Herrn der gelben Erde und fragte ihn.
    Der Herr der gelben Erde sprach: „Nichts sinnen, nichts denken: so erkennst du den SINN; nichts tun und nichts lassen: so ruhst du im SINN; keine Straße wandern: so erlangst du den SINN.“
     
    Was Chuang-tse, Christoph Robin und Puh beschreiben, ist das große Geheimnis, das der Weisheit, dem Glück und der Wahrheit die Tore öffnet. Und was ist dieses magische, mysteriöse Etwas? Nichts. Für den Taoisten ist nichts etwas, während das — oder zumindest vieles von dem —, was die meisten für wichtig halten, im Grunde gar nichts ist. Damit das etwas klarer wird, wollen wir versuchen, wenigstens annähernd eine Vorstellung davon zu geben, was die Taoisten T'ai Hsü nennen, das „Große Nichts“.
    Beginnen wir mit einer Schilderung aus den Schriften von Chuang-tse:
     
    Der Herr der gelben Erde wandelte jenseits der Grenzen der Welt. Da kam er auf einen sehr hohen Berg und schaute den Kreislauf der Wiederkehr. Da verlor er seine Zauberperle. Er sandte Erkenntnis aus, sie zu suchen, und bekam sie nicht wieder. Er sandte Scharfblick aus, sie zu suchen, und bekam sie nicht wieder. Er sandte Denken aus, sie zu suchen, und bekam sie nicht wieder. Da sandte er Selbstvergessen aus. Selbstvergessen fand sie.
     
    Als I-Ah seinen Schwanz verloren hatte, wer fand ihn wieder? Kaninchenschlau? Nein. Das war vollauf damit beschäftigt, schlaue Sachen zu machen. Gelehrte Eule? Nein. Sie erkannte ihn nicht einmal, als er ihr vor Augen kam. Besserwisser I-Ah? Nein. Der hatte gar nicht gemerkt, daß der Schwanz fehlte, bis Puh es ihm sagte. Und selbst dann dauerte es noch ziemlich lange, bis man ihn davon überzeugt hatte, daß er wirklich weg war.
     

     
    Dann ging Puh auf die Suche. Zuerst machte er an Eules Haus halt, und Eule ließ sich des langen und breiten darüber aus, wie man zur Tat schreiten und eine Belohnung aussetzen müsse, was beinhalte, daß eine . . . (gähn) . . . Bekanntmachung geschrieben und angebracht würde . . . (GÄHN). . . überall im ... (hmm). Ach ja — wo waren wir stehengeblieben? Überall im Wald. Und dann gingen sie hinaus. . .
     
    Puh sah sich den Türklopfer und den Zettel darunter an, dann sah er sich die Klingelschnur und den Zettel darunter an, und je mehr er die Klingelschnur ansah, um so mehr hatte er das Gefühl, als habe er irgend etwas Ähnliches irgendwo anders irgendwann früher schon einmal gesehen.
    „Eine hübsche Klingelschnur, nicht wahr?“ meinte Eule. Puh nickte. „Sie erinnert mich an irgend etwas“, bemerkte er, „aber mir fällt nicht ein, an was. Wo hast du sie her?“
    „Ich bin im Wald darauf gestoßen. Sie hing über einen Busch, und zuerst dachte ich, jemand würde dort wohnen, also zog ich daran, aber nichts geschah, und dann zog ich noch einmal sehr fest daran, und da hatte ich sie in der Hand, und weil offenbar niemand darauf Wert legte, habe ich sie mit nach Hause genommen, und —“
     
    Aha. Puh brachte also I-Ah den Schwanz zurück, und als der wieder an seinem Platz war, fühlte I-Ah sich viel wohler.
    Für eine Weile jedenfalls.
    Diese selbstvergessene Leere ist anscheinend sehr nützlich zum Auffinden von Perlen und Schwänzen und derlei, denn sie öffnet die Augen für das, was vor einem liegt. Wer hingegen den Kopf mit ändern Dingen voll hat, ist dazu nicht fähig. Während einer innerlich leer und selbstvergessen dem Gesang eines Vogels lauscht, fragt der mit Gedanken und Wissen Vollgestopfte nur, was für ein Vogel da wohl singt. Je mehr man im Kopf hat, desto
     

     
    weniger hört man mit eigenen Ohren und sieht man mit eigenen Augen. Wißbegier und Klugheit beschäftigen sich meist mit den falschen Sachen, und wem der Kopf vor Informationen, klugen Gedanken und abstrakten Vorstellungen schwirrt, der jagt leicht hinter Dingen her, die nichts bedeuten oder gar nicht existieren, statt das zu erkennen, zu schätzen und zu gebrauchen, was genau vor ihm liegt.
    Nehmen wir die Leere ganz allgemein einmal unter die Lupe. Wodurch wirkt ein taoistisches Gemälde so erfrischend auf die unterschiedlichsten Leute? Durch die Leere, den Raum, der nicht ausgefüllt ist. Wodurch wirken frischer Schnee, reine Luft und klares Wasser? Oder
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher