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Tanz mit dem Schafsmann

Tanz mit dem Schafsmann

Titel: Tanz mit dem Schafsmann
Autoren: Haruki Murakami
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durch«, sagte ich. »Ich bin in dieses Hotel zurückgekehrt, um zwei Personen zu treffen. Die eine bist du, die andere ist jenes Wesen. Es haust da hinten in der Dunkelheit und wartet auf mich.«
    »Du meinst den aus dem Zimmer?«
    »Ja.«
    »Aber ich fürchte mich. Ich fürchte mich schrecklich«, sagte Yumiyoshi zitternd. Kein Wunder. Mir ging es ebenso.
    Ich küsste sie sanft aufs Augenlid. »Keine Angst. Diesmal bin ich bei dir. Gib mir deine Hand. Es ist alles in Ordnung, solange du nicht loslässt. Was auch geschehen mag, halt mich einfach fest. Wir bleiben dicht beieinander.«
    Ich ging ins Zimmer zurück und holte die vorsorglich eingepackte Taschenlampe und das Bic-Feuerzeug aus meiner Reisetasche und steckte sie ein. Dann öffnete ich leise die Tür und trat, Yumiyoshi fest an der Hand haltend, auf den Korridor.
    »In welche Richtung gehen wir?«, fragte sie.
    »Nach rechts«, sagte ich. »Immer nach rechts. Das ist so festgelegt.«
    Ich leuchtete uns mit der Taschenlampe den Weg. Genau wie bei den vorigen Malen war das nicht der Korridor des neuen Dolphin Hotel, sondern der eines uralten Gebäudes. Der rote Läufer war zerschlissen, der Boden an einigen Stellen uneben. Die gekalkten Wände trugen schicksalhafte Male, die wie Altersflecken aussahen. Das Hotel Delfin, dachte ich unwillkürlich. Und zugleich war es gewiss nicht das Hotel Delfin, glich diesem jedoch in der Atmosphäre. Ein bisschen weiter vorn machte der Korridor wie damals eine Biegung nach rechts. Wir bogen um die Ecke, aber diesmal war etwas anders. Es gab kein Licht. Der Kerzenschimmer aus dem Türspalt weit hinten war nicht zu erkennen. Ich schaltete die Taschenlampe aus, um sicherzugehen. Aber es blieb dabei, kein Licht. Vollkommene Finsternis hüllte uns ein, lautlos wie tückisches Wasser.
    Yumiyoshi umklammerte meine Hand. »Kein Licht zu sehen«, sagte ich. Meine Stimme klang ganz trocken. So als wäre es gar nicht meine Stimme. »Beim vorigen Mal kam da hinten Licht aus einer Tür.«
    »Bei mir auch. Da ganz hinten.«
    Wir blieben in der Biegung stehen. Ich überlegte. War dem Schafsmann vielleicht etwas zugestoßen? Oder schlief er? Nein, bestimmt nicht. Er sollte eigentlich immer da sein und das Licht hüten. Das war seine Aufgabe. Selbst wenn er schliefe, müsste wenigstens das Licht brennen. Unbedingt. Mich überkam eine dunkle Ahnung.
    »Lass uns lieber umkehren«, sagte Yumiyoshi. »Es ist einfach zu dunkel. Warten wir das nächste Mal ab. Das ist besser. Nur nichts erzwingen.«
    Sie hatte Recht. Es war wirklich zu dunkel. Außerdem hatte ich das Gefühl, dass etwas Schlimmes im Gange war. Doch etwas hielt mich zurück.
    »Nein, ich mache mir Sorgen. Ich will zu ihm und mich vergewissern, dass nicht etwas geschehen ist. Vielleicht braucht er aus irgendeinem Grund meine Hilfe. Deshalb sind wir beide mit dieser Welt verbunden.« Ich knipste erneut die Taschenlampe an, und der schmale gelbe Lichtstrahl huschte durch die Dunkelheit. »Gehen wir weiter. Halt mich ganz fest bei der Hand. Ich brauche dich, und du brauchst mich. Wir haben nichts zu befürchten. Wir bleiben da. Und gehen nirgendwo mehr hin. Wir kommen schon zurück. Keine Angst.«
    Schritt für Schritt tasteten wir uns behutsam vorwärts. Ich konnte im Dunkeln den Duft von Yumiyoshis Shampoo riechen. Der Geruch betörte meine zum Zerreißen gespannten Nerven. Ihre Hand war klein und warm und hielt mich fest. Wir waren in der Dunkelheit verbunden.
    Ich erkannte das Zimmer des Schafsmannes sofort. Die Tür stand als Einzige einen Spalt breit offen, und es drang ein modriger Geruch heraus. Ich klopfte sacht an. Und wie beim ersten Mal hallte es unnatürlich laut, als würde in einem überdimensionalen Ohr eine überdimensionale Membran in Schwingung versetzt. Ich klopfte drei Mal und wartete ab. Zwanzig, dreißig Sekunden. Doch es kam keine Reaktion. Was war mit dem Schafsmann? War er etwa tot? Schon wahr, beim letzten Mal hatte er unglaublich erschöpft und alt ausgesehen. Also war es durchaus denkbar, dass er inzwischen gestorben war. Immerhin hat er ein langes Leben hinter sich. Auch er wird alt und muss irgendwann sterben. Wie wir alle. Bei diesem Gedanken wurde mir plötzlich bange. Denn falls er wirklich tot war, wer würde mich dann mit dieser Welt verknüpfen? Wer konnte mich verbinden?
    Ich öffnete die Tür und trat mit Yumiyoshi an der Hand ins Zimmer. Als Erstes leuchtete ich den Boden ab. Er sah haargenau so aus wie beim letzten Mal. Überall
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