Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Tanz mit dem Engel

Tanz mit dem Engel

Titel: Tanz mit dem Engel
Autoren: Ake Edwardson
Vom Netzwerk:
Auf dem zweiten Stock im vierten Zimmer links, vom Treppenhaus des Chalmers Studenthem gerechnet, war der Kriminalpolizist geblieben, nachdem die Techniker und der Gerichtsmediziner mit der ersten und unmittelbaren Arbeit fertig waren. Das war, nachdem die Leiche weggetragen worden war.
    Er roch den Duft des Blutes auf den Wänden. Nein, es ist kein Duft, dachte er, es ist ein Gestank, der eher in der Vorstellung existiert als im wirklich Erlebten. Es ist die Farbe, die vor allem. Die verblaßte Farbe des Lebens, über diese pißgelben Wände verteilt.
    Die Sonne fiel nach rechts herein und warf ein karges Licht auf die Wand vor ihm. Wenn er blinzelte, verschwanden alle Farben, und die Wand wurde mehr zu einem erleuchteten Rechteck. Er blinzelte. Er schloß die Augen und hörte, wie das Blut sich durch die kalte Wärme der Sonne auflöste und wie die Wand zu rufen begann, was hier vor weniger als zwölf Stunden geschehen war.
    Die Rufe wurden allmählich stärker, und Winter hielt sich die Ohren zu und ging quer durchs Zimmer und öffnete die Tür zum Korridor. Als er die Tür hinter sich schloß, hörte er das Gebrüll drinnen, und er begriff, daß die Stille genauso ohrenbetäubend gewesen war, als es geschah.
    Er war vorbeigegangen und umgekehrt und zurückgegangen. Es war Samstag. Der Nachmittag hatte keine Farben und bildete einen Kontrast zur Einrichtung in der Bar und dem Restaurant dahinter. Dort waren die Farben schwach und gedämpft, aber stark im Verhältnis zum Winter draußen. Im Sommer spendeten sie den Gästen Kühle. Nun boten sie Wärme an. Da hat Johan mit einem guten Innenarchitekten zusammengearbeitet, dachte Winter und setzte sich an einen der beiden Tische am Fenster. Ein Mädchen kam zu ihm, und er bestellte ein Glas Maltwhisky.
    »Mit Eis?« fragte das Mädchen.
    »Wie bitte?«
    »Möchten Sie Eis im Whisky?« fragte sie noch einmal.
    »Ich habe doch einen Lagavulin bestellt«, sagte er.
    Das Mädchen sah ihn mit verständnislosen Augen an. Sie ist ganz neu, und sie ist nicht schuld, dachte er. Bölger ist nicht dazu gekommen, sie auszubilden. Ich sage nichts.
    »Kein Eis«, sagte er, und das Mädchen entfernte sich vom Tisch und ging zur Theke. Nach fünf Minuten war sie mit dem Alkohol in einem breiten, dicken Glas zurück. Winter blickte hinaus auf die Bewegung in der Fußgängerstraße. Sie spielte sich im Zeitlupentempo ab, nicht eingefroren, aber auch nicht richtig frei, um ohne Leine zu gehen. Winter blickte vorwärts: Bald kommt das Frühjahr, und dann gehe ich ohne Socken und Schuhe.
    »Es ist eine Weile her«, sagte Bölger, der zum Tisch gekommen war und gegenüber von Winter Platz nahm.
    »Ja.«
    Johan Bölger warf einen Blick auf Winters Whiskyglas. »Hat sie gefragt, ob du Eis willst?« »Nein«, sagte Winter. »Nicht?«
    »Soweit ich sehe, kann sie ihre Arbeit«, sagte Winter.
    »Du lügst, du barmherziger Teufel, aber das spielt keine Rolle. Es ist eigentlich nicht ihr Fehler. Es gibt viele Gäste, die Eis im Maltwhisky wollen. Es sind nicht alle solche Snobs wie du.«
    Bölger lächelte Winter schief an.
    »Probier es mit Schwenkern.«
    »Ich hab' sie im Schrank, aber es braucht etwas Zeit, bis das Routine wird«, erklärte Bölger.
    »Maltwhisky kann in den neuen Whiskyschwenkern serviert werden«, sagte Winter. »Manche meinen vielleicht, es wäre albern, aber es ist eine Möglichkeit.«
    »Ich weiß, ich weiß.«
    »Dann löst du gleichzeitig das Problem mit dem Eis.« »Das ist genial.«
    Draußen rutschte eine ältere Frau auf dem vereisten Straßenpflaster aus. Sie glitt aus, ein Bein vom Körper abgewinkelt, und schrie, als etwas knackte. Sie verlor ihren Hut, und ihr Mantel verrutschte. Die Ledertasche, die sie in der Hand getragen hatte, sprang über mehrere Steine, riß auf und verbreitete ihren Inhalt in einem Halbkreis.
    Sie konnten die Hilferufe der Frau von draußen hören. Ein Mann und eine Frau hatten sich neben sie gehockt, und Winter sah den Mann ins Handy sprechen. Ich könnte auch nichts anderes tun, dachte er. Wäre ich in Uniform, könnte ich die Neugierigen verscheuchen, aber so bin ich nicht dazu befugt.
    Bölger und Winter schwiegen. Nach einer kleinen Weile fuhr ein Krankenwagen rückwärts von der Västra Hamngatan herein, die Frau wurde auf eine Trage gehoben, und das Auto fuhr los. Ohne Sirenen.
    »Es wird schon wieder dunkel«, begann Winter.
    Bölger sagte nichts.
    »Und dabei hat sich das Blatt gewendet. Genau dann, wenn man sich allmählich an
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher