Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Tanz der Dämonen

Tanz der Dämonen

Titel: Tanz der Dämonen
Autoren: Uwe Westfehling
Vom Netzwerk:
Zeit, dass er dich so sieht, wie du bist. Wenn es denn wirklich stimmt, dass er bis heute blind gewesen ist.« Und ihr aufmunterndes Lächeln machte unmissverständlich klar, dass sie es ernst meinte.
    Einen Augenblick lang hielt ich verwirrt inne. Einerseits wartete ich schon lange auf eine Gelegenheit, ihn auf die Wahrheit zu stoßen. Aber sollte es so geschehen? Ich wollte ihn nichterschrecken. Andererseits: Er hatte doch selber Schuld! Wie war es denn möglich, dass er noch immer nicht Bescheid wusste, obwohl er monatelang mit mir durch die Lande gezogen war? Er, der sich für so gerissen hielt! Dazu gehörte weiß Gott ein besonderes Ausmaß von Verblendung.
    Was für ein unempfindsamer Klotz! Oder täuschte ich mich vielleicht? Womöglich wusste er in Wirklichkeit mehr, als er sich anmerken ließ. Hatte ich dumme Gans ein viel zu großes Vertrauen in meine Verkleidung gesetzt? Aber dann hätte er ja aus Feingefühl geschwiegen! War ihm eine solche Rücksichtnahme zuzutrauen? Nein. Ich entschied mich, das nicht zu glauben. La Lupa hatte Recht: Dies war der Augenblick, ihm die Augen zu öffnen. Er hatte selber Schuld!
    »Ist er unten in der Halle?«, fragte ich. »Ich werde zu ihm gehen …«
    »So wie du bist?«, fragte Rosanna verblüfft.
    »Ja. So wie ich bin.«
    »Er wird dich nicht erkennen.«
    »Das will ich wissen.«
    Aber mir zitterten die Knie, als ich den Umhang zurechtzog und langsam zur Treppe ging. Rosanna kam sehr viel schneller in Bewegung. Sie glitt an mir vorbei, und ich hörte, wie sie in Windeseile aus den oberen Zimmern einige der Mädchen zusammenrief und mit ihnen auf die Empore huschte, wo sie ungesehen in die Halle hinabblicken konnten.
    La Lupa sagte: »So ist es richtig, setz ihm den Kopf zurecht … seinen Holzkopf.« Und da auch sie sich wohl nicht entgehen lassen wollte, was geschehen würde, folgte sie mir langsam.
    Ihre Neugier machte mich wütend, aber auf keinen Fall wollte ich jetzt zurückweichen. Es war mehr als Zeit, und wenn ich jetzt nicht handelte, würde ich es vielleicht niemals tun – und es ewig bereuen.
    Dennoch klopfte mir das Herz im Hals, als ich die breiten Stufen hinunterschritt. Da stand er unten in der Halle. Zuerst kamen seine Füße in mein Blickfeld, während das Gesims alles Übrige vonihm noch verdeckte. Eisige Furcht überfiel mich, aber um nichts in der Welt hätte ich jetzt innegehalten. Ich ging weiter, die Falten des Umhangs rauschten über die Stufen hinab. Dann sah ich ihn ganz. In den Händen hielt er ein Bündel Kleidungsstücke, die ich in Mutter Glucks Herberge zurückgelassen hatte.
    »Ich suche Kat«, sagte er. »Könnt Ihr mir sagen, wo er …«
    »Sieh mich an«, sagte ich.
    Sein Blick wurde starr. Sein Mund klappte auf, und er keuchte: »Kat?«
    »Pietro!«
    »Kat … Wie siehst du aus! Was hast du an? W-Was ist mit dir …«
    Er verstummte.
    Unterdrücktes Kichern von der Empore.
    Plötzlich machte mir die Szene keinen Spaß mehr. Er tat mir Leid.
    »Pietro. Warum soll ich nicht wie ein Mädchen aussehen? Ich bin ein Mädchen. Hast du das wirklich nicht gewusst?«
    La Lupa trat zu mir.
    »He, amico, du brauchst nicht zu erschrecken«, sagte sie. »Und vor allem brauchst du dich nicht zu schämen. Du bist eben ein Bursche, der geradeaus …«
    Aber es half nichts. Er ließ das Bündel fallen und stürzte davon.
    »Ich hab es verdorben«, flüsterte ich.
    »Nein. Ich glaube, das war meine Schuld«, sagte La Lupa.
    Mit halbem Ohr nahm ich wahr, dass sie Rosanna zu sich rief.
    »Er ist durch die Tür in den Hof«, hörte ich sie sagen. »Er kann noch nicht weg sein. Lauf ihm nach. Halt ihn fest. Du kannst das. Und verkneif dir dieses Grinsen!«
    Sie selbst ging hinterher; ich blieb allein in der Halle und konnte keinen klaren Gedanken fassen. Dann erschien La Lupa wieder. Mit Pietro im Schlepptau. Offenbar hatte sie nachdrücklich mit ihm geredet. Er hatte rote Ohren.
    »Geht hier in das Zimmer«, sagte sie. »Und redet vernünftig miteinander. Es wird euch niemand stören.« Wir gehorchten wie zwei Kinder.
    Dann standen wir da. Pietro drehte den Hut in den Händen, und mir brannte das Gesicht vor Scham.
    »Ich war dumm«, erklärte er schließlich.
    »Nein, ich war dumm«, gab ich zurück. Beinahe hätten wir uns über diesen Punkt gestritten. Aber er verkniff sich eine Antwort. Nach einem peinlichen Schweigen flüsterte ich: »Irgendwie … konnte ich nicht glauben, dass du wirklich keine Ahnung …«
    »Ich hab mich zum Narren gemacht.
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher