Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Tangenten

Tangenten

Titel: Tangenten
Autoren: Greg Bear
Vom Netzwerk:
grinste im Dunkeln und hätte gleichzeitig beinahe geheult. Was Vergil in sich hatte, war unvorstellbar viel fremdartiger als Chinesen. Fremdartiger als alles, was ich – oder Vergil – ohne größere Probleme verstehen konnte. Vielleicht jemals verstehen konnte.
    Aber ich wußte, was real war. Das Schlafzimmer. Die Lichter der Stadt, die schwach durch hauchdünne Vorhänge schienen. Die schlafende Gail. Sehr wichtig. Gail im Bett, schlafend.
    Der Traum kam wieder. Diesmal kam die Stadt durchs Fenster herein und griff Gail an. Sie war ein riesiger Spanner mit stacheligem Haar und dem Glanz der Trunkenheit in den Augen, und sie knurrte etwas in einer Sprache, die ich nicht verstehen konnte, einer Sprache, die aus Autohupen, dem Gebrabbel von Menschenmassen und chaotischem Baulärm bestand. Ich versuchte sie abzuwehren, aber es gelang ihr, an Gail heranzukommen – und die Stadt verwandelte sich in eine Wolke aus Sternen, die auf das ganze Bett und alles andere herabregneten. Ich erwachte abrupt und blieb bis zum Anbruch der Dämmerung wach, zog mich mit Gail zusammen an, küßte sie und genoß die Wirklichkeit ihrer menschlichen, unversehrten Lippen.
    Und ging zu meinem Treffen mit Bernard. Man hatte ihm eine Suite in einem großen Krankenhaus in der Innenstadt vermietet; ich fuhr mit dem Fahrstuhl in den sechsten Stock und sah, was Ruhm und Reichtum bedeuten konnten.
    Die Suite war geschmackvoll eingerichtet: feine Serigraphien an holzgetäfelten Wänden, Möbel aus Chrom und Glas, ein cremefarbener Teppich, chinesisches Messing und wermutfarbene Schränke und Tische.
    Er bot mir eine Tasse Kaffee an, und ich nahm an. Er setzte sich in die Frühstücksecke, und ich nahm gegenüber von ihm Platz, wobei ich meine Tasse mit feuchten Händen umschloß. Er war gepflegt und trug einen grauen Anzug, hatte graue Haare und ein scharfes Profil. Er war Mitte Sechzig und hatte eine deutliche Ähnlichkeit mit Leonard Bernstein.
    »Kommen wir zu unserem gemeinsamen Bekannten«, sagte er, »Mr. Ulam. Brillant. Und ich zögere nicht, zu sagen: couragiert.«
    »Er ist mein Freund. Ich mache mir Sorgen um ihn.«
    Bernard hob den Finger. »Couragiert – und ein verdammter Narr. Was mit ihm geschehen ist, hätte nie passieren dürfen. Mag sein, daß er dabei unter Druck gestanden hat, aber das ist keine Entschuldigung. Trotzdem, es ist nun mal passiert. Er hat mit Ihnen gesprochen, nehme ich an.«
    Ich nickte. »Er will zu Genetron zurück.«
    »Natürlich. Da sind ja seine ganzen Geräte. Und da wird wahrscheinlich auch sein Zuhause sein, während wir die Sache auswerten.«
    »Auswerten – wie? Welchen Sinn hat das?« Ich dachte nicht sonderlich klar. Ich hatte leichte Kopfschmerzen.
    »Ich kann mir viele Verwendungsmöglichkeiten für kleine, superdichte Computerelemente auf biologischer Basis vorstellen. Sie nicht? Genetron hat bereits Durchbrüche erzielt, aber das ist eine ganz tolle Sache.«
    »Was schwebt Ihnen da vor?«
    Bernard lächelte. »Ich darf eigentlich nicht darüber sprechen. Es wird revolutionär sein. Wir müssen ihn ins Labor verlegen. Tierexperimente müssen durchgeführt werden. Wir werden natürlich ganz von vorn anfangen müssen. Vergils… ähm… Kolonien können nicht übertragen werden. Sie basieren auf seinen weißen Blutkörperchen. Deshalb müssen wir Kolonien züchten, die in anderen Tieren keine Immunreaktionen auslösen.«
    »Wie zum Beispiel eine Infektion?« fragte ich.
    »Da gibt es wohl gewisse Ähnlichkeiten. Aber Vergil hat keine Infektion.«
    »Meine Tests zeigen das aber an.«
    »Das sind wahrscheinlich die Datenteilchen, die in seinem Blut schwimmen, meinen Sie nicht?«
    »Ich weiß es nicht.«
    »Hören Sie, ich möchte, daß Sie ins Labor kommen, wenn sich Vergil dort eingelebt hat. Ihre fachmännische Meinung könnte uns von Nutzen sein.«
    Uns. Er steckte mit Genetron unter einer Decke. Konnte er da objektiv sein? »Welchen Nutzen werden Sie denn daraus ziehen?«
    »Ich war in meinem Beruf immer an der Spitze. Ich sehe keinen Grund, weshalb ich hier nicht helfen sollte. Mit meinem Wissen über Gehirn- und Nervenfunktionen und aufgrund meiner Forschungen im neurophysiologischen Bereich…«
    »Sie könnten Genetron helfen, eine Untersuchung durch die Regierung abzuwimmeln«, sagte ich.
    »Das war reichlich unverblümt. Zu unverblümt, und außerdem unfair.«
    »Vielleicht. Trotzdem, ja: Ich würde gern ins Labor kommen, wenn sich Vergil dort eingelebt hat. Wenn ich immer noch willkommen
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher