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Tangenten

Tangenten

Titel: Tangenten
Autoren: Greg Bear
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manchmal Mist bauen. Krieg, die Umwelt…«
    Ich griff nach jedem Strohhalm und versuchte, meine wachsende Panik unter Kontrolle zu halten. Ich war nicht fähig, mit der Ungeheuerlichkeit dessen, was da vorging, fertig zu werden. Und Vergil ebensowenig. Er war der letzte, den ich als verständig und klug bezeichnet hätte, wenn es um große Fragen ging.
    »Aber ich bin der einzige, der in Gefahr ist.«
    »Das weißt du nicht. Um Himmels willen, Vergil, schau dir an, was sie mit dir machen!«
    »Mit mir, nur mit mir!« sagte er. »Mit sonst keinem.«
    Ich schüttelte den Kopf und hob resignierend die Hände. »Okay. Bernard bringt sie also dazu, das Labor wieder aufzumachen, du ziehst ein und wirst zum Versuchskaninchen. Was dann?«
    »Sie behandeln mich gut. Ich bin jetzt mehr als nur der gute alte Vergil Ulam. Ich bin eine gottverdammte Galaxis, eine Supermutter.«
    »Ein Superwirt, meinst du.«
    Er gab mir mit einem Achselzucken recht.
    Ich konnte es nicht mehr ertragen. Ich verabschiedete mich mit ein paar fadenscheinigen Ausreden, setzte mich dann in die Eingangshalle des Apartmenthauses und versuchte mich zu beruhigen. Jemand mußte ihm Vernunft beibringen. Auf wen würde er hören? Er war zu Bernard gegangen…
    Und es klang, als ob Bernard nicht nur überzeugt, sondern auch interessiert sei. Leute von Bernards Kaliber gaben sich nicht mit den Vergil Ulams dieser Welt ab, wenn sie sich nichts davon versprachen…
    Ich hatte eine vage Ahnung und beschloß, darauf zu setzen. Ich ging zu einem öffentlichen Fernsprecher, steckte meine Kreditkarte hinein und rief bei Genetron an.
    »Ich möchte, daß Sie Dr. Michael Bernard ausrufen lassen«, erklärte ich der Empfangsdame.
    »Wer ist da, bitte?«
    »Hier ist sein Auftragsdienst. Wir haben einen Notruf, und sein Piepser scheint nicht zu funktionieren.«
    Ein paar nervöse Minuten später kam Bernard an den Apparat. »Wer, zum Teufel, ist da?« fragte er leise. »Ich habe keinen Auftragsdienst.«
    »Mein Name ist Edward Milligan. Ich bin ein Freund von Vergil Ulam. Ich glaube, wir sollten mal über ein paar Probleme sprechen.«
    Wir verabredeten uns für den nächsten Vormittag.
    Ich ging nach Hause und versuchte mir Entschuldigungen auszudenken, um morgen nicht zur Schicht ins Krankenhaus zu müssen. Ich konnte mich nicht auf medizinische Dinge konzentrieren, konnte mich meinen Patientinnen auch nicht annähernd so intensiv widmen, wie sie es verdienten.
    Ich hatte Schuldgefühle, war nervös, wütend und voller Angst.
     
    So fand mich Gail. Ich setzte eine Maske der Gelassenheit auf, und wir machten zusammen das Abendbrot. Nach dem Essen sahen wir durch das Fenster zur Bucht zu, wie in der späten Dämmerung die Lichter der Stadt angingen, und hielten einander fest. Seltsame Winterstare pickten in den letzten hellen Minuten auf dem gelben Rasen herum und flogen dann in einem aufkommenden Wind davon, der die Fenster klappern ließ.
    »Irgendwas stimmt doch nicht«, sagte Gail leise. »Willst du’s mir erzählen oder einfach so tun, als ob alles normal wäre?«
    »Liegt nur an mir«, erwiderte ich. »Ich bin nervös. Die Arbeit im Krankenhaus.«
    »Herrje«, sagte sie und setzte sich auf. »Du wirst dich wegen dieser Mrs. Baker noch mal von mir scheiden lassen.« Mrs. Baker wog dreihundertsechzig Pfund und hatte erst im fünften Monat bemerkt, daß sie schwanger war.
    »Nein«, sagte ich lustlos.
    »Da bin ich aber enorm erleichtert«, sagte Gail und berührte leicht meine Stirn. »Du weißt doch, daß es mich wahnsinnig macht, wenn du so in dich gekehrt bist.«
    »Na ja, ich kann im Moment noch nicht drüber sprechen, also…« Ich tätschelte ihre Hand.
    »Sei nicht so abscheulich herablassend«, sagte sie und stand auf. »Ich geh und mach Tee. Willst du auch welchen?« Jetzt war sie eingeschnappt, und ich war verkrampft, weil ich es ihr nicht erzählt hatte.
    Ich fragte mich, warum ich nicht einfach mit allem herausrückte. Ein alter Freund von mir verwandelt sich in eine Galaxis.
    Statt dessen räumte ich den Tisch ab. In dieser Nacht konnte ich nicht schlafen. Ich saß mit dem Kissen an der Wand im Bett, schaute auf Gail hinunter und versuchte mir darüber klar zu werden, was meines Wissens real war und was nicht.
    Ich bin Arzt, sagte ich mir. Ein technischer, wissenschaftlicher Beruf. Ich sollte gegen Sachen wie den Zukunftsschock immun sein.
    Vergil Ulam verwandelte sich in eine Galaxis.
    Wie es wohl wäre, mit einer Billion Chinesen gefüllt zu sein? Ich
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