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Tagebücher der Henker von Paris

Tagebücher der Henker von Paris

Titel: Tagebücher der Henker von Paris
Autoren: Henri Sanson
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Colombe hieß; seine beiden Neffen behandelte er ganz wie diese, nicht allein, was die Sorgfalt, mit der er sie umgab, anbetraf, sondern auch mit seiner väterlichen Liebe.
    Colombe Brossier und Charles Sanson waren beinahe von demselben Alter. Die süße Kameradschaft der Kinder wurde durch die Bande des Blutes noch fester geschlossen und stellte gegenseitige Zuneigung zwischen ihnen her.
    Jean Baptiste stand durch sein Alter seiner Kusine und seinem Bruder ferner. Sein Onkel hatte ihn für den Gerichtsstand bestimmt; das Studium ersetzte ihm also schon frühzeitig die Kinderspiele; er begann die Tiefen des Rechts zu ergründen, als die anderen beiden fast noch stammelten und ihre ersten Zärtlichkeitsbezeigungen austauschten.
    Diese Zuneigung wuchs mit ihnen, aber es kam der Tag, an dem sie begriffen, daß sie sich einen süßeren Namen geben müßten als den von Bruder und Schwester.
    Ihre Freundschaft war Liebe geworden.
    Diese Liebe hatten weder Pierre Brossier noch Jean Baptiste entstehen sehen; keiner von ihnen dachte daran, daß sie zur Leidenschaft geworden sei.
    Für sie waren Colombe und Charles noch immer Kinder; sie beurteilten die Gefühle, welche die beiden jungen Leute füreinander kundgaben, nur nach deren Alter.
    Indessen kündigte Pierre Brossier eines Sonntags nach dem immer etwas feierlichen Mahle, das zwischen der Messe und der Vesper stattfand, seiner Tochter an, daß er tags zuvor für Jean Baptiste die Stelle eines Rates beim Landgerichte zu Abbeville erhalten habe.
    Colombe und Charles wollten den neuen Rat beglückwünschen, aber Pierre Brossier gab ihnen ein Zeichen, daß er noch nicht zu Ende sei, und fügte hinzu, es scheine ihm gut, daß Jean Baptiste sich verheirate, ehe er sein Amt anträte.
    Ohne ein Wort miteinander gewechselt zu haben, warfen sich die beiden jungen Leute den angstvollen Blick zweier armen Gazellen zu, die das Blei des Jägers gleichzeitig tödlich getroffen hat; eine düstere Ahnung erfaßte sie, und sie zitterten, den Beschluß des Greises zu hören; die Pausen, die dieser zwischen allen seinen Worten machte, schienen ihnen ebensoviel Jahrhunderte.
    Pierre Brossier hatte kaum geendet, so stand das junge Mädchen auf, schützte ein plötzliches Unwohlsein vor und floh in ihre Kammer, wo sie ihren Tränen, die sie im ersten Augenblick zu ersticken gedroht hatten, freien Lauf ließ. Der Vater setzte dieses plötzliche Verschwinden auf Rechnung ihrer tiefen Bewegung, die bei einem so unschuldigen Kinde, das zum ersten Male das Wort Hochzeit aussprechen hört, sehr natürlich war.
    Einige Worte, die Charles mit Colombe wechseln konnte, und das Fieber, das die ganze Nacht hindurch das Blut des Jünglings in Wallung setzte, gaben ihm einen Teil seiner Energie zurück.
    Am folgenden Morgen harrte er ungeduldig auf die Stunde, zu der sein Bruder gewöhnlich ausging, und suchte dann seinen Onkel auf, der sein Frühstück an dem Kamin im niedrigen Saale einnahm, in welchem man auch zu Mittag speiste. Er warf sich dem edlen Manne zu Füßen und gestand ihm mit einem Ausdrucke, der einen Stein gerührt haben würde, die Liebe zu seiner Kusine; er beschwor ihn, die nicht zu trennen, die Gott so auffällig füreinander bestimmt habe.
    Während Charles sprach, goß Pierre Brossier sein braunes Bier aus der Zinnkanne in seine Tasse und trank es in kleinen Zügen.
    Er hatte eben eine neue Tasse ausgetrunken, als er plötzlich den ihn stets charakterisierenden Ernst verlor und so laut und heftig zu lachen begann, daß er sich verschluckte. Auf dieses Lachen folgte ein starker Husten, durch den noch immer die Heiterkeit hervorbrach, der aber auch schmerzlich genug sein mußte, um dem alten Manne ein ängstliches Schlucken zu verursachen.
    Charles war ganz betroffen.
    Aber seine Gefühle waren zu leidenschaftlich, um lange Zeit unterdrückt werden zu können. Er begann von neuem mit seinen Klagen und suchte seinen Onkel dadurch zu rühren, daß er ihm bemerklich machte, welche Folgen das Unglück, das sich vorbereitete, haben könne. Er berief sich auf das Andenken der vielgeliebten Schwester des Greises, er rief ihren Schatten an, er möge mit ihm nicht allein für das Glück, sondern auch für das Leben seines Kindes bitten.
    Der Herr von Limeux stellte das Altersrecht ebenso hoch, als es nur ein Sire von Concy, wenn es damals noch solche gegeben haben würde, hätte treiben können.
    Er war kein schlechter Mensch, aber er hatte die Leidenschaft niemals gekannt und fand es ganz
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