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Tagebücher der Henker von Paris

Tagebücher der Henker von Paris

Titel: Tagebücher der Henker von Paris
Autoren: Henri Sanson
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traurige Geschichte.
    Sechs Monate nach der Abreise Charles' war Pierre Brossier gestorben, und es schien, als habe dieses erste Unglück allen anderen Tür und Tor geöffnet.
    Das Lehen von Limeux, welches das ganze Vermögen Colombes ausmachte, wurde durch den hohen Herrn, der es zu vergeben hatte, zurückgefordert, wobei er sich auf ein altes Gesetz wegen der Lebensdauer des Lehnsträgers berief.
    Die Besitztitel Pierre Brossiers waren nicht ganz in der Regel; aber auf dem Boden der Schikane angegriffen, nahm der Gerichtsrat den Kampf mit derselben nichtachtend auf, wie es der Mann vom Schwerte getan haben würde, wo es sich darum handelte, in den Schranken zu kämpfen. Er hatte plädiert, aber ganz gegen seine Erwartung den Prozeß verloren, und nun hatte man ihm nicht allein das Lehen von Limeux genommen, sondern er hatte auch das kleine Haus auf dem Platze verkaufen müssen, um die Gerichtskosten bezahlen zu können.
    Einige Zeit nach Brossiers Tode setzte der Bankerott eines seiner Freunde, eines Leinwandhändlers zu Amiens, dem Jean Baptiste Geld anvertraut hatte, das Vermögen dieses letzteren auf eine einzige Besitzung herab, deren Einkünfte kaum hinreichten, sein Leben zu fristen.
    Unter dem Eindrucke dieser Unglücksfälle kehrten alte Nervenzufälle wieder, die ihn in seiner Kindheit heimgesucht hatten, von denen er sich aber geheilt glaubte.
    Als seine Frau eines Tages hinausging und ihn am Kamine sitzen ließ, bekam er einen furchtbaren Anfall von Epilepsie; er fiel von seinem Stuhle so unglücklich in den Kamin, daß, als die auf das Geräusch herbeieilende Magd ihn aufhob, sein Gesicht nicht nur von den schrecklichsten Brandwunden, deren Spuren man jetzt noch sah, bedeckt, sondern daß auch die Sehorgane zerstört waren: er war blind.
    Damals verkaufte er sein Amt und zog sich mit seiner Frau in dieses kleine Haus der Vorstadt zurück.
    Als Jean Baptiste seine traurige Geschichte erzählt hatte, erhob er in lebhafter Bewegung die Zärtlichkeit und Ergebenheit Colombes, durch deren Sorgfalt allein, wie er sagte, er noch lebe.
    Charles sah die junge Frau an; sie war sehr bleich geworden, vermied, die Augen aufzuschlagen, und er glaubte zu bemerken, daß ihre Hand, die sich mit einer Stickerei beschäftigte, leicht zitterte.
    Er näherte sich ihr und sagte mit möglichst fester Stimme, indem er auf das erste Wort einen besonderen Nachdruck legte:
    »Meine Schwester, willst du, daß wir fortan zwei seien, über ihn zu wachen?«
    Ein stolzes Lächeln trat auf Colombes Lippen.
    »Ich erwartete nichts weniger von dir, mein Bruder,« antwortete sie, »und weil ich es so wünschte, rief ich dich eben.«
    Alle beide glaubten zuversichtlich, daß die Wechselung eines Namens allein hinreiche, jede Spur eines Gefühles auszulöschen, das so lange Zeit hindurch vollständig ihre Herzen beherrscht hatte.
    Charles verzichtete also auf seine Karriere. Er brachte die Einnahme von seinem Lehen Longval in das Haus, dadurch trug er eine Wohlhabenheit hinein, deren der arme Kranke so nötig bedurfte. Er wetteiferte mit Colombe an Sorgfalt um seinen Bruder, und seine Plaudereien, die Erzählungen von seinen Reisen trugen nicht wenig dazu bei, die schreckliche Monotonie der Existenz des Blinden zu mildern.
    Diese Hingebung flößte Jean Baptiste eine Erkenntlichkeit ein, die zu beweisen er keine Gelegenheit vorübergehen ließ. Wenn er mit seiner Frau allein war, so gaben der edle Charakter, das erhabene Gefühl seines Charles den Stoff zur Unterhaltung; wenn er mit ihm allein war, so gefiel er sich darin, Colombe mit den Engeln des guten Gottes zu vergleichen.
    Wahrscheinlich hatte Pierre Brossier Jean Baptiste nicht von der wirklichen Ursache der Abreise Charles' in Kenntnis gesetzt, oder wenn er sie ihm mitgeteilt hatte, so zweifelte der Exrat, der die Lebensansichten seines Pflegevaters teilte, nicht, daß diese Kinderei keine Folgen gehabt habe, denn unaufhörlich bat er Charles, Colombe dadurch zu zerstreuen, daß er sie spazierenführe oder zur Messe begleite; er führte auf jede Weise Gelegenheiten herbei, daß sie sich einander nähern konnten.
    Colombe ihrerseits war zu keusch, um die Gefahr zu ahnen, der sie sich aussetzte. Weit entfernt, diese gefährlichen Zusammenkünfte unter vier Augen zu fliehen, schien sie niemals glücklicher, als wenn sie mit ihrem Schwager allein war.
    Indessen bemerkte sie wohl, daß der ehemalige Seemann traurig und träumerisch wurde. Sie beunruhigte sich darüber und sprach davon
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