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Tagebücher der Henker von Paris

Tagebücher der Henker von Paris

Titel: Tagebücher der Henker von Paris
Autoren: Henri Sanson
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Zeit die Gasthäuser der Stadt Dieppe weit davon entfernt, den luxuriösen Palais zu ähneln, die heute den Fremden, die ihre Gesundheit in den wohltätigen Gewässern dieses Strandes suchen, eine komfortable Gastfreundschaft bieten.
    Der »Klare Anker«, das berühmteste Wirtshaus hierorts, entsprach ganz der praktischen und bescheidenen Physiognomie der Stadt.
    Er lag an der Ecke, welche die Straßen de la Poissonnerie und de l'Epée bilden, wo sie sich kreuzen.
    Eine junge Fichte, die horizontal in der Mauer befestigt war, ein großes Schild, auf dem man einen am Schiffsbord aufgehängten Anker sah, kündigten dem Fremden schon von fern das Wirtshaus an. Sein Eingang war unter einer Halle, die von schweren Säulen gestützt wurde, Überbleibsel von irgendeinem Schiffbruche, die eine Art Wetterdach bildeten, wo die unbeschäftigten Seeleute gewöhnlich eine Zuflucht vor dem Regen suchten. Ein breiter Gang führte gleichzeitig zum Erdgeschoß und auf einen inneren Hof. Zur Rechten befand sich die große Küche, zur Linken die große Gaststube.
    Eine außen angebrachte Treppe führte vom Hofe nach den Zimmern des oberen Stockwerkes, deren sämtliche Eingangstüren sich auf eine viereckige bedeckte Galerie, welche um das ganze Gebäude lief, öffneten.
    Diese Bauart hatte einen sehr alten Anschein; sie machte den Arbeitern, die die Balken zugeschnitten und die Steine aufgestellt hatten, nicht mehr Ehre als dem Architekten, der den Plan entworfen hatte, und dennoch besaß der »Klare Anker« das Vorrecht, nicht allein die Schiffskapitäne zu beherbergen, sondern auch die großen Herren der Umgegend und die Offiziere des Regiments de la Boissière, das damals zu Dieppe in Garnison lag.
    Eines Abends im Monat Februar des Jahres 1662 widerhallte der Saal des »Klaren Ankers« von Gesängen und Gelächter, worin sich das Klirren von aneinander gestoßenen Gläsern mischte.
    Ich bitte meine Leser um die Erlaubnis, sie in diesen Saal führen zu dürfen.
    Die Gäste des Meisters Baudrillart, Eigentümers und Kochs des »Klaren Ankers«, waren in der Tat weniger zahlreich, als es sich die Einbildungskraft der Vorübergehenden vorstellen mochte.
    Nicht mehr als drei Gäste saßen um die lange Eichenholztafel mit spiralförmig gedrehten Füßen, die das Hauptmöbel dieses großen Raumes ausmachte. Es ist wahr, daß diese Tafel mit einer solchen Menge von Gerichten und einer so hübschen Auswahl von Flaschen aller Formen und Dimensionen besetzt war, daß es wahrscheinlich schien, die drei Gäste Meister Baudrillarts hätten, nachdem sie für sechs gegessen und getrunken, das Recht, für zwölf Lärm zu machen.
    Aus den drei Degen, die an einigen Nägeln an der Wand hingen, sowie aus den Kostümen der Eigentümer derselben wurde es klar, daß alle drei vornehme Leute seien.
    Zwei dieser Männer waren jung, der dritte streifte an das Alter, wo, wenn die Vernunft schweigt, die Gesundheit wenigstens Weisheit fordert, und dennoch war, wenn man dem Anscheine trauen durfte, gerade er der Anführer dieses Trios.
    Er war ein Mann von etwa vierzig Jahren, groß, mager, knochig. Seine scharf ausgeprägte, beinahe eckige Physiognomie deutete auf seine südliche Abkunft ebensogut als der Name des Chevaliers von Blignac, den ihm seine Kameraden gaben. Alle Begierden, alle Kühnheit des Gaskogners sprachen sich auf diesem Gesichte aus. Seine Augen, die tief in ihren Höhlen lagen, aber ungemein lebhaft waren, übertrafen noch den Ausdruck von Feinheit, wie ihn seine Landsleute haben, sie drückten List und Schlauheit aus. Der vorzüglichste Charakter seines Gesichtes war der sonderbare Mangel an Übereinstimmung zwischen dessen oberem und unterem Teile.
    Herr von Blignac trug die Farben des Regiments de la Boissière.
    Der zweite der Gäste war nicht älter als zwanzig Jahre. Er war mit großer Sorgfalt gekleidet; der Stoff und der Schnitt seiner Kleider, der Überfluß an Bändern, mit denen sie besetzt waren, zeigten eine Eleganz, der man fern vom Hofe sehr selten begegnete.
    Unter diesem Äußeren des Stutzers bewahrte dieser junge Mann den ganzen Reiz, die ganze naive Ungezwungenheit der Jugend. Seine Sprache, seine Manieren waren frei von der anspruchsvollen Gezwungenheit der Modegecken jener Zeit. Sein Gesicht blieb einfach im Ausdrucke aller seiner Gefühle. Er gab sich dem Vergnügen, das vielleicht noch neu für ihn war, mit dem ganzen Ungestüm seines Alters hin. Noch erhitzter durch den Lärm als durch den Wein, den er getrunken
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