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Tagebücher der Henker von Paris

Tagebücher der Henker von Paris

Titel: Tagebücher der Henker von Paris
Autoren: Henri Sanson
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seine Lippen führte.
    Er leerte es mit einem Zuge, stellte es wieder auf den Tisch und erwiderte mit der scherzhaften Gutmütigkeit, die ihm eigen war:
    »Nun, so verkennt man die schönsten Gefühle! Unter dem Eindrucke meiner tiefen Freundschaft für Sie, mein lieber von Longval, unter dem Einflusse der außergewöhnlichen Sympathie, die ich, ohne ihn zu kennen, für Ihren jungen Cousin empfinde, habe ich überlegt, daß eure Jugend und Unerfahrenheit in der Sache euch zu Schlachtopfern des entsetzlichen Giftmischers mit Namen Baudrillart machen würden, und um die Erlaubnis gebeten, mich mit eurer Überwachung befassen zu dürfen, und nun lassen Sie sich gar einfallen, meine gutherzigen Absichten zu entstellen? Bei dem Blute Christi, Leutnant, das war nicht unsere alte Kameradschaft!«
    Paul Bertaut beeilte sich das Wort zu nehmen.
    »Sie haben recht, Herr von Blignac!« rief er, »und ich halte mich Ihnen so tief verpflichtet, daß, wenn Sie nichts Anstößiges bei meiner Bitte finden, ich Ihre allmächtige Intervention in den Beziehungen, die ich während eines Jahres notwendigerweise mit diesem Baudrillart, dem man so Schlimmes zutrauen muß, haben werde, erflehe.«
    »Baudrillart! Holla! Baudrillart!« brüllte der gaskognische Edelmann mit einer Ungezwungenheit, die seine Reue bewies. »Verdammter Wirt! Dreifacher Faulenzer, wirst du kommen, wenn man dich ruft?«
    Der Chevalier von Blignac war damit kaum zu Ende, als Baudrillart sich in demütiger und unterwürfiger Haltung an der Tür zeigte, ein sicherer Beweis, daß der alte Offizier nicht mit Unrecht den Einfluß gerühmt hatte, den er auf den Wirt ausübte.
    Baudrillart verneigte sich mit ehrerbietigem Ausdrucke, den sowohl die Details, die er über das Vermögen seines Gastes vernommen, als die Drohungen Herrn von Blignacs hervorgerufen haben mochten.
    »Und jetzt«, setzte der letztere hinzu, »bringe uns eine Flasche besseren Nektars als den, mit welchem du uns bisher bedient hast.«
    »Aber«, stotterte der Gastwirt, »ich muß mir die Freiheit nehmen, dem Herrn Baron bemerklich zu machen, daß der Wein, den ich seiner ehrenwerten Gesellschaft vorgesetzt habe, der beste war, den ich besaß, und –«
    »Keine Einwendung! der Wein soll wie die Heiterkeit
crescendo
gehen, wie unsere italienischen Nachbarn sagen. Wein und Karten!«
    »Warum denn Karten?« fragte Charles von Longval erstaunt. »Sie haben vergessen, daß ich nie spiele, mein lieber Chevalier.«
    »Gottes Tod! das ist wahr! Hole Sie der Teufel, mein Freund; Sie haben Ihren Beruf verfehlt, eine Kutte würde Ihnen besser stehen als die Uniform.«
    »Vielleicht werde ich Ihnen zum Gefallen noch einst eine solche anziehen; diese Aussicht schafft Ihnen aber immer noch keinen Dritten zum Lanzknecht.«
    »Verdammt! Ich muß aber einen finden! He! Baudrillart, du wirst in deiner Herberge wohl einen Reisenden haben, der einige Pistolen besitzt, um sie gegen die unserigen einzuwechseln; geh und hole ihn, und wenn er sich darüber beklagt, daß du ihn geweckt hast, so wirst du seinen Ärger auf die Rechnung setzen; mein berühmter Freund, Herr Bertaut, handelt niemals.«
    Meister Baudrillart zögerte noch.
    In diesem Augenblicke erschütterten heftige Schläge die Haustür der Herberge.
    »Gottes Tod!« rief der Chevalier von Blignac; »der Zufall ist gescheiter als du, Baudrillart, denn da schickt er uns den, den wir brauchen. Geh dem Reisenden entgegen, und wer er auch sei, führe ihn hier zu uns ein.«
    Der Gastwirt gehorchte, und einige Augenblicke später stand ein Mann, der sich bis an die Augen in einen großen Mantel von rötlichem Tuche gehüllt hatte, auf der Schwelle des Saales. Als er die drei Edelleute bemerkte, zögerte er, weiterzugehen.
    Sein Kostüm hatte viel Ähnlichkeit mit dem eines Soldaten. Es bestand in einem Wams von düsterrotem Tuche, darüber ein Oberrock von Büffelleder ohne Ärmel, der die Brust bedeckte. Eine Hose von demselben Stoffe wie das Wams verlor sich in ein Paar Lederstiefel, die, auf der Seite zu öffnen, das Bein vom Knie bis zur Sohle bedeckten und deren sich die Bewohner der Normandie noch heute als Reitstiefel bedienen.
    Vor dem Kamine stehend, wärmte er seine breiten Hände, und seine Blicke blieben starr und zu Boden gesenkt, als ob das phantastische Spiel der Flammen oder das Knattern der verkohlenden Zweige seine ganze Aufmerksamkeit in Anspruch genommen hätte.
    Nur ein- oder zweimal hatte er die Augen erhoben, und Paul Bertaut fühlte sich von
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