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Tagebuch eines Engels

Tagebuch eines Engels

Titel: Tagebuch eines Engels
Autoren: Carolyn Jess-Cooke
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gelandet war, las ich fassungslos verschiedene Artikel über den Mord in den Zeitungen – illustriert mit einem Verbrecherfoto von Theo. Und wie immer glaubte ich damals, das sei alles Tobys Schuld gewesen.
    Gaia und ich bedrängten James, uns zu berichten, was passiert war. Doch statt es uns zu erzählen, breitete er seine Flügel bis hoch über seinen Kopf aus, bis eine kleine Wasserblase in der Luft hing. Und in dieser Blase spiegelte sich Folgendes:
    Theo auf dem Weg nach Hause von seiner Geburtstagsfeier in einer Bar im Zentrum – bekifft und betrunken. Er trägt schmutzige Jeans, ein blutverschmiertes T-Shirt und hat sich bei einem Kampf um ein Mädchen in der Bar ein fettes blaues Auge eingehandelt. Direkt neben einer Seitengasse bleibt er kurz stehen, um sich eine Zigarette anzuzünden. Er hört Stimmen. Einen Streit. Ein weinendes Mädchen. Einen zischenden, fluchenden Kerl. Dann eine Ohrfeige. Einen Schrei. Noch eine Ohrfeige, eine Drohung. Theo strafft die Schultern, sichtbar ernüchtert. Er geht in die Gasse. Er sieht ganz deutlich, wie sich ein Typ über ein Mädchen beugt und seine Hüfte gegen ihre rammt. Den Bruchteil einer Sekunde überlegt Theo, wegzugehen. Er will sich nicht einmischen. Dann ein Schrei. Als Theo wieder hinsieht, hebt der Typ gerade die Faust und schlägt sie dem Mädchen ins Gesicht.
    Â»Hey!«, ruft Theo.
    Der Typ sieht auf. Tritt einen Schritt zurück.
    Das Mädchen fällt zu Boden und wimmert. Zieht die Knie an die Brust.
    Â»Was machst du denn da, Alter?«, ruft Theo und bewegt sich auf den Kerl zu.
    Der Kerl – blond, etwas älter als Theo, in stonewashed Jeans und weißer Jacke mit NYU-Aufdruck – macht den Reißverschluss seiner Hose zu und wartet, bis Theo etwa einen halben Meter von ihm entfernt ist. Dann holt er eine Knarre aus der Tasche. Theo hält die Hände hoch und weicht einen Schritt zurück.
    Â»Mannmannmann, was geht ab, Alter?«
    Der Typ richtet die Waffe direkt auf Theos Gesicht. »Verpiss dich, oder ich schieß dir ein Loch in die Fresse.«
    Theo sieht nach dem Mädchen auf dem Boden. Ihr Gesicht ist geschwollen und blutet. Zu ihren Füßen bildet sich eine Blutlache.
    Â»Warum tust du dem Mädchen das an, he?«
    Â»Geht dich gar nichts an. Und jetzt sei ein braver Junge und hau ab, sonst verpass ich dir ’ne Kugel zwischen die Augen.«
    Theo beißt die Zähne aufeinander und betrachtet wieder das Mädchen. »Nee, Alter. Tut mir leid.«
    Â»Wie bitte? Was tut dir leid?«
    Theo sieht ihn an. In seinem Kopf läuft ein Film mit Bildern aus dem Jugendknast ab. Bilder von Vergewaltigungen.
    Â»Das darf nicht sein«, sagt er leise. Er sieht das Mädchen an, wie es blutet und zittert. »Das darf nicht sein«, wiederholt er. Und bevor der Typ weiß, wie ihm geschieht, hat Theo ihm die Waffe entwendet. Er richtet sie auf ihn.
    Â»Gegen die Wand!«, schreit er. »Dreh dich um, und lehn dich gegen die Mauer, oder ich bring dich um!«
    Der Typ grinst nur.
    Â»Gegen die Wand!«
    Der Typ lehnt sich leicht nach vorn, seine Miene ist eine einzige Drohung. Er zieht ein Messer aus der Gesäßtasche und stürzt sich auf Theo.
    Theo senkt den Lauf der Waffe und schießt dem Typen zweimal in den Oberschenkel. Der schreit und fällt auf die Knie. Theo sieht zu dem Mädchen. »Na los, mach, dass du hier wegkommst«, sagt er. Sie rappelt sich auf und rennt los.
    Theo lässt die Waffe fallen. Er zittert. Er beugt sich über den am Boden liegenden jammernden Typen. »Hey, tut mir leid, Mann, aber du hast mir keine Wahl gelassen …«
    Mehr kann er nicht sagen, denn da stößt der Typ ihm bereits das Messer in die Hüfte. Theo schreit und zieht sich instinktiv die Klinge aus dem Fleisch. Im selben Moment hat der Typ ihm eine geklebt. Theo holt aus und rammt dem Kerl das Messer in den Nacken. Dann schlägt er auf ihn ein. Und zwar so lange, bis irgendjemand die Polizei ruft.
    Theo erzählte den Bullen, was vorgefallen war. Sie machten einen Urintest. Marihuana, Alkohol, Kokain. Der andere war sauber gewesen. Was für ein Mädchen? Hier hatte keiner ein Mädchen gesehen. Der Tote war Student an der Columbia-Universität, äußerst erfolgreich. Theos Vorstrafenregister war dicker als die Bibel.
    Wie ging es mir bei alldem? Die Wut, die mich angetrieben hatte, nachdem ich erfahren hatte, was Theo im
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