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Tagebuch aus der Hölle (German Edition)

Tagebuch aus der Hölle (German Edition)

Titel: Tagebuch aus der Hölle (German Edition)
Autoren: Jeffrey Thomas
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diente, aber viele der Scheiben in dem aufwendigen metallenen Gitterwerk waren zerbrochen, sodass sich nach dem Regen vereinzelte Blutpfützen auf dem Boden gebildet hatten. Lange Reihen nackter Menschen, immer drei nebeneinander, standen aufgereiht in der Halle, während zu beiden Seiten Dämonen patrouillierten – halb schlendernd, halb hüpfend, wie Affen. Sie stießen uns Menschen mit spitzen Eisenspeeren, sobald sie den Eindruck hatten, wir schrien zu laut oder könnten im nächsten Moment hoffnungslos zusammenbrechen oder aus schierer Panik zu fliehen versuchen. Meine Begleiter hoben mich auf die Füße und schubsten mich zum Ende der Schlange. Wie durch ein Wunder war ich in der Lage, mich auf den Beinen zu halten, und meine Schmerzen hatten sich fast vollständig in Luft aufgelöst. Auch wenn eine dicke Schicht meines eigenen Blutes an mir klebte, schob ich zaghaft meine Hand nach oben, und ich stellte fest, dass mein Gesicht wieder intakt und meine Schädeldecke wieder völlig geschlossen war.
    In jenem Moment fiel mir eine Zeile von Elvis Costello ein: This is Hell, this is Hell, I am sorry to tell you …
    Wie ich schon sagte, befand ich mich in einem Schockzustand aus Schmerz, Schrecken und, vor allem, Fassungslosigkeit … aber ich erinnere mich noch daran, dass man mir, als ich – gefühlte Stunden später – endlich am Anfang der Schlange stand, die Kleidung reichte, die ich auch jetzt trage. Sie hatten sie in jenen schwarzen Sack oder Rucksack gestopft, der aus irgendeinem Organ besteht.
    Am Kopf der Schlange saßen hinter einem langen Tisch drei Exemplare einer neuen Dämonengattung. Sie ähnelten den Höllenbewohnern der skelettartigen Lehrerklasse, denen ich bis dahin allerdings noch nicht begegnet war, nur, dass aus ihren Köpfen kein grünes Feuer züngelte. Stattdessen waren ihre Schädel gewaltig angeschwollen, sie erinnerten an Ballons und waren beinahe durchsichtig. Diese kugelköpfigen Gestalten fixierten jeden Einzelnen in der fortschreitenden Dreierreihe mit leuchtenden Augen und krächzten den pavianartigen Kreaturen Befehle in irgendeiner fremden Sprache zu. Wurden wir katalogisiert? Kategorisiert? Beurteilt? Oder instruierten diese Sachbearbeiter der Hölle die Paviane lediglich, mit welchem Brandzeichen sie uns kennzeichnen sollten?
    Denn dies war der Moment, in dem wir gebrandmarkt wurden. Ich hatte mich die ganze Zeit schon gefragt, was es mit diesem roten Leuchten vor uns, der immer heißeren Luft und den plötzlich aufgellenden Schmerzensschreien auf sich hatte, denn anfangs hatte ich nicht an den Leuten vor mir vorbeisehen können.
    Als ich an der Reihe war, versuchte ich fortzurennen, aber zwei Dämonen packten mich am Arm, und einer von ihnen vergrub seine Pitbullhauer in meinem Nacken, um meinen Kopf festzuhalten, während sich ein weiteres grinsendes Pavian-Ungeheuer mit denselben tiefschwarzen Augen wie alle anderen mit einem glühenden Brandzeichen in seinen vernarbten Fäusten von der offenen Feuerstelle abwandte und sich zu mir umdrehte. Ich hörte, wie meine Haut zischte und brutzelte, als er es auf meine eben erst verheilte Stirn drückte. Es ist die einzige Wunde, die ich an diesem Ort bekommen habe, die nicht wieder verheilt. Es ist ein A – es steht jedoch nicht für die Schulnote, die ich an der Avernus-Universität bekommen habe, sondern für »Agnostiker«. Das ist mein Hauptverbrechen. Genug, um mir eine Reise in die Hölle zu sichern.
    Anschließend wurden wir über eine Reihe abzweigender Korridore auf das unverkennbare Rumpeln und kreischende Bremsen von U-Bahn-Zügen zugetrieben. Schließlich erreichte meine Gruppe eine unterirdische Bahnstation, deren Wände mit schwarzen Keramikfliesen gekachelt waren. Als unser Zug einfuhr, stürzte sich ein armer Narr über den Rand des Bahnsteigs und tauchte vor der Lokomotive ab. Wenn die Flucht nur so einfach wäre – wir würden uns alle wie die Lemminge auf dieses Gleis stürzen. Ich nehme an, dass seine Überreste, nachdem wir abgefahren waren, mit einer Schaufel wieder aufgesammelt wurden, um sie irgendwo anders wieder abzuladen und neu zusammenzusetzen.
    Der Zug sah aus wie aus dem 19. Jahrhundert: Aus mehreren Schornsteinen quoll Dampf, riesige Zahnräder und Kolben bewegten sich, und seine schwarze Metallhaut war von Rost durchzogen. Die Wagenkolonne, die die gewaltige Lokomotive zog, verfügte über keinerlei Fenster. Als der Zug kreischend zum Stehen kam, wurden wir durch Stöße mit den eisernen Spießen
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