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Tagebuch aus der Hölle (German Edition)

Tagebuch aus der Hölle (German Edition)

Titel: Tagebuch aus der Hölle (German Edition)
Autoren: Jeffrey Thomas
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einem spitzen Stift wie mit einem Skalpellmesser ähnliche Einsichten in unsere nackten Rücken ritzen mussten. Es war zwar hart, denjenigen nicht zu hassen, der deinen Rücken als Tafel benutzte – obwohl er sich eher wie eine Dartscheibe anfühlte –, aber wir hatten bereits gelernt, diesen Hass auf unsere Ausbilder zu übertragen.
    Unsere Abschlussfeier endete damit, dass jeder Einzelne von uns gekreuzigt wurde, damit wir die Leiden zu schätzen lernten, die der Sohn unserer Sünden wegen auf sich genommen hatte. Nun, ich denke, wir haben diese Schuld nun beglichen – und sogar noch mehr. Ihr hättet die langen Reihen aus Kreuzen sehen sollen, die in dieser riesigen Halle standen, in der wir noch nie zuvor gewesen waren, und die aussah wie der Hangar eines Jumbojets. Die Kreuze selbst bestanden aus Eisen und hatten Löcher, in die anstelle von Nägeln große Schrauben gedreht worden waren. Einer der Pavian-Dämonen hatte jedem von uns mit einem Spieß die Brust durchbohrt. Wir alle trugen Kronen aus Stacheldraht. Meine Stigmata sind so weit verheilt, dass ich wieder in der Lage bin, zu schreiben, ohne dass allzu viel Blut auf die Seite tropft.
    Ich bin ein Märtyrer, wiedergeboren. Ich bin unsterblich, wie Er. Was aber macht Ihn so besonders? Wir sind eine Heerschar der Wiederauferstandenen, denn wir sind viele.
    Ich bin Prometheus, der das Feuer aus dem Himmel stahl … aber ich bin nicht an einen Felsen gekettet. Ich treibe durch ein Königreich voller Aasgeier.
    Aber wisst ihr … vielleicht bin ich in Bezug darauf, was noch vor mir liegt, zu naiv, doch ich verspüre noch immer diesen seltsamen Optimismus. Wir wurden bislang weder einem bestimmten Kreis der Hölle zugeteilt, weil es diese Kreise gar nicht gibt – zumindest nicht so, wie Dante sie sich vorstellte –, noch anhand des Wesens unserer Sünden – egal, ob real oder imaginär – in spezifische Regionen verbannt. Wir wurden, wenn man so will, darauf vorbereitet, unsere eigene Hölle zu finden.
    Das ist wenigstens eine Illusion von Freiheit, oder nicht? Und zumindest fühlt es sich gut an, die Avernus-Universität hinter mir zu lassen … auch wenn es fast einen ganzen »Tag« dauern wird, mich so weit von ihr zu entfernen, dass ich diese weitläufige, turmhohe Schul-Stadt in ihrer schwarzen Gänze sehen kann.
    Viele meiner Kommilitonen verließen die Universität in kleineren Grüppchen. Ich kann das nachvollziehen, aber das ist nicht meine Art. Vielleicht werde ich mich später irgendwann nach Gesellschaft sehnen, aber im Moment bin ich noch immer dabei, all das zu verarbeiten, und ich ziehe es vor, diesen Prozess alleine durchzustehen. Ich habe ein paar von ihnen, die fast so etwas wie Freunde geworden sind, zum Abschied gewunken. Ein Mann umarmte mich sogar mit Tränen in den Augen – er sah gleichzeitig furchtbar hoffnungsvoll und furchtbar angsterfüllt aus, als er die Mauern der Universität hinter sich ließ.
    Die Landschaft war größtenteils öde, flach und staubig, und nur hier und da wuchsen Büschel aus hohem grauen Gras, das seltsam durchsichtig aussah, dazwischen erhoben sich vereinzelt verkrüppelte, knorrige Bäume, die entweder gar keine oder tiefviolette Blätter trugen, wie die Efeupflanze im Hof der Universität, auf dem ich die Pausen verbracht hatte. Schließlich tauchte in der Ferne vor mir jedoch niedriges Buschwerk auf, und die Gräser und Bäume wurden zahlreicher, bis sie mit dem äußersten Rand eines Waldes verschmolzen.
    Ich hatte das Glück – relativ gesprochen – die schützenden Bäume bereits erreicht zu haben, als ich hinter mir entfernte Schreie und Geheule hörte. Als ich mich umdrehte und zurück auf die Ödnis blickte, die ich durchquert hatte, sah ich zwei winzige Gestalten, die auf mich zurannten … sie befanden sich allerdings noch sehr weit vom Schutz des Waldes entfernt.
    Dann hörte ich die Schüsse. Ich erkannte, dass die zweite Gestalt mit irgendeiner Waffe auf die erste, fliehende feuerte. Schuss um Schuss knallte, und das Echo grollte wie herannahender Donner über die Ebene. Von meinem Versteck hinter einem missgebildeten Baumstamm, der aussah, als sei er selbst in die Hölle geschickt und dort gefoltert worden, sah ich, wie die verfolgte Gestalt zusammenbrach. Er oder sie war getroffen.
    Die zweite Gestalt näherte sich ihrem Opfer nun mit langsamerem, lässigem Schritt. Jetzt, aus kürzerer Entfernung, konnte ich erkennen, dass die Gestalt weiße Gewänder und eine spitze weiße
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