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Tagebuch aus der Hölle (German Edition)

Tagebuch aus der Hölle (German Edition)

Titel: Tagebuch aus der Hölle (German Edition)
Autoren: Jeffrey Thomas
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hier ist …«
    Vielleicht würde der Professor meine Neugier ja zu schätzen wissen. Ein wissensdurstiger Schüler.
    Die anderen hingen hinter mir zurück. Ich war ihnen einen oder zwei Schritte voraus. Die beiden kleineren Dämonen blieben stehen, wo sie waren, während ihr Anführer die Lücke zwischen uns allmählich schloss, bis er schließlich direkt vor mir aufragte. Er beugte seinen Kopf aus der Höhe zu mir herunter, um ausdruckslos das Tier auf meinem Arm zu betrachten.
    Als der Dämon zu sprechen begann, klangen seine Worte wie die zischende Warnung einer Kobra. Wie ein kalter Luftzug, der durch ein Grab weht. Es war ein kratzendes, raschelndes Geräusch … so als würden tote Herbstblätter von einer Windböe durch dieses Grab gejagt. Er sagte: »Du hast deine Frage selbst beantwortet. Es ist ein Insekt, genau wie du. Es ist hier, wie auch du hier bist. Der Schöpfer ist nicht verpflichtet, dir Sein Werk zu erklären. Seine Taten würden ohnehin deinen Horizont übersteigen. Falls Er sich je die Mühe machen sollte, sie zu erklären, doch das wird Er nicht tun.«
    Damit legte der Professor auch seine andere krallenartige Hand an seinen Stab und ließ ihn in einem schwarz-verschwommenen Rauschen heruntersausen. Das rätselhafte Symbol, das ihn krönte, durchschnitt sauber meinen Unterarm. Ich sah, wie die Hälfte meines Armes neben meine Füße fiel, auf dem sich die Gottesanbeterin noch immer festklammerte. Aus dem verbliebenen Stumpf schoss das Blut mit der Gewalt eines Geysirs empor, wie Wasser aus einem Feuerwehrschlauch. Ich taumelte zurück, stieß mit der Ferse gegen eine Steinfliese, knallte heftig auf den Rücken und jammerte unter Qualen, während mir Tränen über die Wangen rannen. Aber trotz dieser Supernova des Schmerzes wusste ich, dass ich meine Kameraden lieber nicht um Hilfe bitten sollte. Sie standen einfach nur da und starrten mich an: hilflos, entsetzt und froh, dass sie nicht an meiner Stelle waren.
    »Du musst nur das wissen, wovon wir dich in Kenntnis zu setzen gedenken. Und das ist die Tatsache, dass du selbst nur ein Insekt bist«, fuhr der gewaltige Dämon mit demselben trockenen Krächzen fort.
    Um diese kleine Spontanlektion zu einem Ende zu bringen, hob mein Lehrer seinen knochigen nackten Fuß und trat auf meinen abgetrennten Arm. Dabei zerquetschte er die Gottesanbeterin. Diese Tat war für mich ebenso rätselhaft wie die Existenz der Gottesanbeterin an sich.
    Als es Nacht wurde – oder das, was ich dafür hielt –, hatte sich mein Arm schon so weit regeneriert, dass ich mit diesem Tagebuch beginnen konnte. Dank sei dem Schöpfer für diese Wunder.

Sechster Tag (Tag 1 bis 4).
    Da ich erst so spät mit meinen Aufzeichnungen begonnen habe, schätze ich, ich sollte an dieser Stelle ein Stück zurückgehen und ein paar Lücken füllen … am Anfang beginnen, aber doch möglichst schnell zu den Ereignissen kommen, die ich gegenwärtig erlebe. Glücklicherweise ist meine Erinnerung daran größtenteils ohnehin nur ein einziger Nebel aus Schmerz und Angst. Ich kann nicht fassen, dass ich geistig noch immer so gesund bin, wenn ich an die Panik und Verzweiflung denke, die ich in jenen ersten Tagen verspürte. Vielleicht hat sich mein Verstand ja genauso regeneriert wie mein Fleisch und meine Knochen.
    Ich erwachte allein in einem winzigen Raum, der komplett mit weißen Keramikfliesen gekachelt war, selbst Decke und Boden. Zunächst dachte ich, ich befände mich in einem Krankenhaus. Schließlich hatte ich mir gerade einen Gewehrlauf unter das Kinn gedrückt und mir die Schädeldecke weggepustet. Als ich schluckte, spürte ich Blut, Zähne und labberige Fleischklumpen, und ein nicht unwesentlicher Teil meines zerstörten Gehirns glitt meinen Schlund hinab wie eine Auster ihre Schalenhälfte. Aber wenn ich mich tatsächlich in einem Krankenhaus befand, wieso lag ich dann nackt auf dem Boden, während mein Blut in Richtung eines Metallabflusses in der Mitte des Raumes floss?
    Ich versuchte, mich aufzusetzen, was jedoch eine gewaltige Nuklearexplosion aus Schmerzen zur Folge hatte, die mich zurück auf meinen Rücken warf. Ich hörte, wie mein Schädel wie eine Piñata aufplatzte und gegen die Kacheln spritzte. Wie konnte ich noch immer am Leben sein?
    Natürlich war ich das nicht.
    Als sich dann, begleitet von zischendem Dampf, in einer der Wände eine helle Metallluke öffnete, die mich an ein U-Boot erinnerte, und der erste Dämon meine duschkabinenartige Zelle betrat, wusste ich,
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