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Tagebuch aus der Hölle (German Edition)

Tagebuch aus der Hölle (German Edition)

Titel: Tagebuch aus der Hölle (German Edition)
Autoren: Jeffrey Thomas
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war, die heranrollenden Donnerwolken glich. Schon setzte ein zarter Puderregen aus blassen Flocken ein, die sich auf meiner schwarzen Kleidung in kleine Punkte vulkanischer Asche verwandelten. Sie ließen sich ganz leicht wegwischen.
    Ich hatte den ganzen Tag noch nicht geweint. Der erste Tag in der Hölle, an dem ich nicht geweint hatte. War ich bereits gefühllos? Oder gewöhnte ich mich schon daran?
    Andere um mich herum weinten jedoch. Ein hohes Heulen, das wie die Stimmen Tausender, Millionen von Menschen klang, verschmolz mit dem Wind. Es war zu lebendig – es konnte nicht allein der Wind sein.
    Ich legte meine Hand auf die Schulter einer Frau, die am Fuß der Statue auf einer Bank saß. Unsere Füße wurden durch das schlammige Blut ganz nass. Sie schluchzte hysterisch. Ich wollte sie trösten, aber als sie zu mir hochsah, kreischte sie auf und schlug meine Hand weg, und so setzte ich meinen Hofgang fort.
    Einige meiner Klassenkameraden suchten hingegen sehr wohl Trost in der Gesellschaft ihrer Mitmenschen. Ich unterbrach meinen Rundgang und hörte einigen von ihnen zu. Einer brabbelte: »Wenn sie uns in die Schule schicken, dann müssen sie doch wollen, dass wir bessere Menschen werden … ihr wisst schon, damit wir in den Himmel kommen können, später mal. Erst Fegefeuer, dann Himmel … richtig? Wir sind hier, um bestraft zu werden, wie im Gefängnis … und rehabilitiert, und dann können wir … können wir …«
    »Zu leistungsfähigen Bürgern werden?«, vollendete ich.
    Der Mann wirbelte zu mir herum und funkelte mich wild an. Genau wie ich hatte auch er auf der Stirn eine hässliche, erhabene Narbe in Form eines A. Es war ein Brandmal, das Kennzeichnen für Agnostiker. Ich wollte gar nicht wissen, wie die Kennzeichnung eines Atheisten aussah, aber ich war mir sicher, dass ich es noch herausfinden würde. Der Mann erwiderte: »Damit wir gerettet werden können!«
    »Wir haben es vergeigt«, entgegnete ich. »Wir haben an nichts von alldem hier geglaubt. Offensichtlich hätten wir das wohl besser tun sollen.«
    »Aber es kann doch nicht sein, dass wir deswegen bis in alle Ewigkeit leiden müssen … Das wäre nicht fair! Vielleicht bin ich ja einfach nicht in einem religiösen Umfeld aufgewachsen! Manche Leute haben vielleicht keine besonders guten Pfarrer, die ihnen die Religion richtig nahebringen! Gebt den Wissenschaftlern die Schuld, weil sie uns gesagt haben, all das existiere nicht – lasst uns nicht für ihre Sünden büßen! Uns umgeben einfach nicht genügend Zeichen, die uns zum Glauben bewegen könnten!«
    »Deshalb nennt man es ja ›Glauben‹«, warf einer der anderen ein. »Sie gestalten die Zeichen absichtlich so, dass sie schwer zu deuten sind. Um zu sehen, ob wir aufmerksam sind.«
    »Okay, na schön, ich lerne ja!«, brüllte der Mann. Er war völlig außer sich und wirbelte zu dem anderen herum. »Ich will ja lernen! Ich will ja!« Dann brach er in heftiges Schluchzen aus. »Ich will gerettet werden! Ich will in den Himmel kommen!«
    »Also warum unterrichten sie uns dann?«, murmelte ein anderer gedankenversunken.
    »Als reine Strafmaßnahme«, antwortete jemand. »Schule ist scheiße.«
    »Sie wollen uns nur mit dieser unbestimmten Ahnung quälen, bevor der Rest der Folter beginnt«, murmelte ich. Ich musste jedoch zustimmen: Auch ich hatte die Schule schließlich immer gehasst, wie ich ja bereits erwähnt habe. Ich fühlte mich zwischen all meinen Mitschülern so einsam. Ich glaube, es war Sartre, der sagte, die Hölle seien die anderen. Im Gegensatz dazu hat T. S. Eliot jedoch behauptet, die Hölle seien wir selbst. Sie hatten beide recht.
    »Wieso Zeit darauf verwenden? Wieso sollten sie sich die Mühe machen, wenn nicht, um uns zu retten?«, jammerte der schluchzende Mann.
    »Sie wollen nur, dass wir ein paar Dinge verstehen«, antwortete ich. »Damit uns klar wird, wie sehr wir das verdienen, was mit uns passieren wird. Das ist alles Teil ihres Plans. Und wir können niemals hoffen, zu verstehen, wie Gott und die Dämonen denken …«
    »Psst!«, zischte eine Frau, die dieselbe schwarze Uniform trug wie der Rest von uns und sich mir langsam näherte. Auch sie war, wie wir anderen, vollkommen kahl geschoren worden. In ihre Stirn waren jedoch drei X eingebrannt. Eine Prostituierte? »Du kannst dieses Wort hier unten nicht sagen! Ich hab mal einen Mann gesehen, der IHN bei Seinem Namen gerufen hat … und dann wurde er von diesen Dämonen gepackt …« Sie konnte nicht
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