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Tage in Burma

Tage in Burma

Titel: Tage in Burma
Autoren: George Orwell
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Weg zum Club.
    Flory war ein etwa fünfunddreißigjähriger, mittelgroßer, nicht unansehnlicher Mann. Er hatte sehr schwarzes, steifes, tief ansetzendes Haar und einen gestutzten schwarzen Schnurrbart, und seine von Natur bläßliche Haut war von der Sonne
    gebleicht. Da er weder dick noch kahl geworden war, wirkte er nicht älter als seine Jahre, aber sein Gesicht war trotz der Sonnenbräune sehr abgezehrt mit schmalen Wangen und einem
    eingesunkenen, welken Aussehen um die Augen. Er hatte sich offenbar heute morgen nicht rasiert. Er trug das übliche weiße Hemd, khakifarbene Drellshorts und Strümpfe, aber statt eines Tropenhelms einen zerbeulten breitkrempigen Filzhut, den er schief über das eine Auge gezogen hatte. Er hatte einen
    Bambusstock mit einem Handgelenkriemen bei sich, und ein
    schwarzer Cockerspaniel namens Flo trottete hinter ihm her.
    Aber all dies waren sekundäre Kennzeichen. Das erste, was an Flory auffiel, war ein häßliches Muttermal, das sich als
    gezackter Halbmond über seine linke Wange zog, vom Auge bis zum Mundwinkel. Von links her gesehen hatte sein Gesicht ein angeschlagenes, vergrämtes Aussehen, als wäre das Muttermal ein Bluterguß - denn es war von dunkelblauer Farbe. Er war sich seiner Häßlichkeit voll bewußt. Und stets, wenn er nicht allein war, hatten seine Bewegungen eine seitlich schräge Tendenz, da er ständig lavierte, um das Muttermal nicht sehen zu lassen.
    Florys Haus stand oberhalb des Marktplatzes, dicht am Rande des Dschungels. Von dem Gartentor aus senkte sich der
    ausgedörrte, khakifarbene Marktplatz steil herab, und um ihn herum stand ein halbes Dutzend blendendweißer Bungalows.
    Alles zitterte und bebte in der heißen Luft. Auf halbem Wege
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    bergab lag ein von einer weißen Mauer umgebener englischer Friedhof und nahebei eine kleine Kirche mit einem Blechdach.
    Dahinter war der European Club, und wenn man den Club -
    einen plumpen, einstöckigen Holzbau - ansah, hatte man das eigentliche Zentrum der Stadt vor sich. In jeder indischen Stadt ist der Europäische Club die geistige Zitadelle, der eigentliche Sitz der britischen Macht, das Nirwana, nach dem die
    eingeborenen Beamten und Millionäre vergeblich schmachten.
    Das war hier doppelt der Fall, denn der Club von Kyauktada rühmte sich, daß er, fast als einziger Club in Burma, nie einen Orientalen als Mitglied aufgenommen hatte. Hinter dem Club strömte riesig und ockergelb der Irrawaddy und blitzte an
    Stellen, auf die die Sonne fiel, wie Diamanten; jenseits
    erstreckte sich die große Einöde von Reisfeldern, die am
    Horizont von einer Kette schwärzlicher Berge abgeschlossen wurde.
    Die Eingeborenenstadt einschließlich der Gerichtsgebäude
    und des Gefängnisses lag drüben auf der rechten Seite,
    größtenteils zwischen grünen Hainen von heiligen Bobäumen
    versteckt. Der Turm der Pagode erhob sich aus den Bäumen wie ein schlanker Speer mit goldener Spitze. Kyauktada war für das obere Burma eine ziemlich typische Stadt, die sich zwischen den Tagen von Marco Polo und 1910 nicht sehr verändert hatte und die im Mittelalter noch ein weiteres Jahrhundert hätte schlafen können, wenn sie sich nicht als passende Stelle für eine
    Eisenbahnendstation erwiesen hätte. 1910 machte die Regierung sie zum Hauptquartier eines Distrikts und zum Sitz des
    Fortschritts - zu verstehen als ein Block von Gerichtsgebäuden mit ihrer Armee von dicken, aber gierigen Anwälten, einem
    Krankenhaus, einer Schule und einem dieser riesengroßen,
    beständigen Gefängnisse, welche die Engländer überall
    zwischen Gibraltar und Hong Kong gebaut haben. Die
    Bevölkerung betrug etwa viertausend, darunter ein paar hundert Inder, ein paar Dutzend Chinesen und sieben Europäer. Es gab
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    auch zwei Eurasier, Mr. Francis und Mr. Samuel, die Söhne
    eines amerikanischen baptistischen Missionars und einer
    römisch katholischen Missionarin. Die Stadt enthielt keinerlei Sehenswürdigkeiten außer einem indischen Fakir, der seit
    zwanzig Jahren in einem Baum in der Nähe des Basars lebte und sich sein Essen jeden Morgen in einem Korb heraufzog.
    Flory gähnte, als er aus seinem Tor trat. Er hatte sich gestern abend halb betrunken, und das blendende Licht machte ihn
    reizbar. »O dieses verdammte Loch!« dachte er, während er den Hügel hinabschaute. Und da außer dem Hund niemand in der
    Nähe war, begann er laut zu singen: »Scheißig, scheißig,
    scheißig, scheißig geht es her« zur Melodie von »Heilig, heilig,
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