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Tage in Burma

Tage in Burma

Titel: Tage in Burma
Autoren: George Orwell
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ist ein guter Freund von dem Doktor. Ich sehe ihn jeden Morgen zu ihm gehen, wenn er in Kyauktada ist. Zweimal hat er den Doktor sogar zum Essen
    eingeladen.«
    »Ah, da hast du recht. Wenn Flory ein Freund von dem
    Doktor wäre, das könnte uns schaden. Man kann einen Inder
    nicht verletzen, wenn er einen europäischen Freund hat. Das gibt ihm - wie heißt das Wort, das sie so gern haben? - Prestige. Aber Flory wird seinen Freund sehr schnell fallenlassen, wenn die Schererei anfängt. Diese Leute haben kein Gefühl der Treue zu einem Eingeborenen. Übrigens weiß ich zufällig, daß Flory ein Feigling ist. Mit dem werde ich fertig. Deine Rolle ist, Mr.
    Macgregor zu beobachten, Ko Ba Sein. Hat er in letzter Zeit an den Kommissar geschrieben - vertraulich, meine ich?«
    »Er hat vor zwei Tagen geschrieben, aber als wir den Brief über Dampf geöffnet haben, fanden wir, daß es nichts von
    Bedeutung war.«
    »Nun gut, wir werden ihm was zu schreiben geben! Und
    sobald er den Doktor verdächtigt, dann ist es Zeit für diese andere Angelegenheit, von der ich zu dir gesprochen habe. So werden wir - was pflegt Mr. Macgregor zu sagen? Ach ja, ›zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen‹. Einen ganzen Schwarm von Fliegen - haha!«
    U Po Kyins Lachen war ein ekelhaftes Blubbern tief in
    seinem Bauch wie die Vorbereitung eines Hustenanfalls; dabei klang es fröhlich, sogar kindlich. Er sagte nichts weiter über die
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    ›andere Angelegenheit‹, die selbst für ein Gespräch auf der Veranda zu privat war. Als Ba Sein merkte, daß die Unterredung beendet war, stand er auf und verbeugte sich eckig wie ein mit einem Gelenk versehenes Lineal.
    »Wünscht Euer Ehren sonst noch etwas?« fragte er.
    »Vergewissere dich, daß Mr. Macgregor den heutigen Burma-Patriot zu sehen bekommt. Hla Pe solltest du lieber sagen, er soll einen Ruhranfall bekommen und nicht ins Büro gehen. Ich brauche ihn für die anonymen Briefe. Das wäre für den
    Augenblick alles.«
    »Dann darf ich gehen, Sir?«
    »Gott sei mit dir«, sagte U Po Kyin etwas zerstreut, und
    gleich darauf rief er wieder nach Ba Taik. Er verschwendete keinen Augenblick seines Tages. Er brauchte nicht lange dazu, die anderen Besucher abzufertigen und das Dorfmädchen ohne Lohn wegzuschicken, nachdem er ihr Gesicht gemustert und
    gesagt hatte, er erkenne sie nicht. Jetzt war Frühstückszeit.
    Schmerzhafte Hungergefühle, die ihn jeden Morgen pünktlich um diese Stunde überkamen, begannen seinen Leib zu peinigen.
    Er rief dringlich:
    »Ba Taik! Heh, Ba Taik! Kin Kin! Mein Frühstück! Mach
    schnell, ich verhungere.«
    Im Wohnzimmer hinter dem Vorhang war bereits der Tisch
    gedeckt: eine riesige Schüssel Reis und ein Dutzend Schälchen mit Curry, getrockneten Garnelen und Scheibchen von grünen Mangopflaumen. U Po Kyin watschelte zum Tisch, ließ sich
    grunzend nieder und fiel sofort über das Essen her. Seine Frau Ma Kin stand hinter ihm und bediente ihn. Sie war eine hagere Frau von fünfundvierzig Jahren mit einem freundlichen,
    hellbraunen Affengesicht. U Po Kyin beachtete sie nicht,
    während er aß. Die Schüssel dicht unter der Nase, stopfte er schnell atmend mit flinken, fettigen Fingern die Speisen in sich hinein. All seine Mahlzeiten waren flink, leidenschaftlich und
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    enorm, weniger Mahlzeiten als Orgien, Schwelgereien in Curry und Reis. Als er fertig war, lehnte er sich zurück, rülpste ein paarmal und befahl Ma Kin, ihm eine grüne burmanische
    Zigarre zu holen. Er rauchte nie englischen Tabak, der, wie er erklärte, keinen Geschmack hatte.
    Bald darauf zog U Po Kyin mit Ba Taiks Hilfe seinen
    Büroanzug an; dann stand er eine Weile vor dem hohen Spiegel im Wohnzimmer und bewunderte sich. Es war ein holzgetäfelter Raum mit zwei Säulen, noch als Teakholzstämme erkennbar, die den Firstbalken trugen; es war dunkel und schlampig darin wie in allen burmanischen Zimmern, obgleich U Po Kyin es nach
    ›Ingaleik‹-Mode eingerichtet hatte mit einem furnierten Büfett und passenden Sesseln, einigen Lithographien von der
    königlichen Familie und einem Feuerlöscher. Auf dem
    Fußboden lagen Bambusmatten, die mit Limonen- und Betelsaft befleckt waren.
    Ma Kin saß in der Ecke auf einer Matte und nähte an einem
    Ingyi. U Po Kyin drehte sich langsam vor dem Spiegel und bemühte sich, einen Blick auf seine Rückseite zu werfen. Er trug einen Gaungbaung aus hellrosa Seide, einen Ingyi aus gestärktem Musselin und einen Paso aus Mandalay-Seide, einem prachtvollen
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