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Tage der Freuden

Tage der Freuden

Titel: Tage der Freuden
Autoren: Marcel Proust
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durchgemacht und war nicht mehr traurig über diese Wandlung. Ein leichtes Lächeln löste seinen Mund. »Jetzt ist sie da, die reine Liebe für Françoise. Ich bin nicht mehr eifersüchtig, denn ich bin dem Tode nah, aber einerlei – es mußte sein, damit ich endlich die echte Liebe für Françoise empfinde!«
    Nun hob er die Augen und sah Françoise inmitten der Dienerschaft, des Arztes, zweier alter Verwandten, und alle beteten neben ihm. Und nun erkannte er: die reine Liebe, frei von jedem Egoismus, von jeder Sinnlichkeit, so wie er sie für sich ersehnte in ihrer ganzen Süße und Göttlichkeit, sie hatte jetzt die alten Anverwandten umfangen, die Dienstboten, den Arzt, selbst ihn, ebenso wie Françoise; er empfand für sie nur die Liebe für alle beseelten Kreaturen, die mit ihm in einem treuen Bunde standen, da sie eine Seele hatten ähnlich der seinen, und er empfand nur diese Liebe noch für sie. Er konnte die ausschließliche Liebe für sie nicht mehr fassen mit ihrer ganzen Mühe und Schwere, ja der bloße Gedanke, sie sei ihm mehr als die andern, war ausgelöscht in ihm.
    Tränenerstickt murmelte sie am Fuße des Bettes die schönsten Worte von einst: »Mein Heimatland, mein Brüderchen!« Aber er hatte weder die Kraft noch den Willen, sie aufzuklären, er lächelte und dachte, sein »Heimatland« sei nicht mehr sie, sondern über aller Erde und im Himmel. Er wiederholte in seinem Herzen: »Meine Brüder«, und wenn er Françoise tiefer ansah als die andern, geschah dies nur aus Mitleid allein, aus Mitleid mit ihren Tränen, die in Strömen aus ihren Augen rannen, aber diese Augen würden bald sich schließen, und die Tränen würden versiegen. Er liebte sie jetzt nicht tiefer, nicht mit anderm Herzen als den Arzt, die alten Anverwandten, die Dienstboten, und das war das Ende seiner Eifersucht.
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