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Tage der Freuden

Tage der Freuden

Titel: Tage der Freuden
Autoren: Marcel Proust
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auf einer höheren Ebene wirken.«
     
Emerson
     
    Der Salon der Frau Seaune, geborenen Prinzessin von Calaise-Orlandes, die wir im ersten Teil unserer Erzählung unter dem Namen Françoise erwähnt haben, ist noch heute einer der besuchtesten von Paris.
    Der Titel Herzogin hätte sie in ihrer Gesellschaftsschicht unter sehr vielen andern nicht hervorgehoben, aber ihr bürgerlicher Name tat es, wie ein Schönheitsfleck ein Gesicht hebt; sie hatte ihren Titel durch die Ehe mit Herrn Seaune verloren, dafür tauschte sie das Prestige ein, freiwillig auf eine Ehre verzichtet zu haben, welche in der Phantasie hochgeborener Herren die weißen Pfauen, die schwarzen Schwäne, die weißen Veilchen und die Königinnen im Exil turmhoch unter ihresgleichen auszeichnet.
    Frau Seaune hat in diesem Jahr und im vorigen viele Gäste empfangen, aber in den drei vorangegangenen Jahren war ihr Haus geschlossen, es waren die Jahre, die dem Tode des Honoré de Tenvres folgten.
    Die Freunde Honorés hatten sich schon sehr gefreut, zu sehen, wie er nach und nach sein heiteres Gesicht wiederbekam und seine Lustigkeit von einst, sie begegneten ihm immer in der Gesellschaft von Frau Seaune und schrieben seine Erholung und Wiederherstellung dieser Liaison zu, die sie für sehr jungen Datums hielten.
    Es waren nicht ganz zwei Monate seit der völligen Wiederherstellung Honorés vergangen, als der Unglücksfall in der Avenue du Bois de Boulogne passierte, bei dem ihm beide Beine von einem scheugewordenen Pferde zermalmt wurden.
    Die Katastrophe widerfuhr ihm am ersten Dienstag im Mai, die Bauchfellentzündung zeigte sich am Sonntag deutlich. Aber vom Dienstag, dem Unglückstag, bis Sonntag abend wußte nur er allein, daß er verloren war.
    Als am Dienstag die ersten Verbände angelegt waren, bat er, man solle ihn allein lassen; er wolle nur die Visitenkarten der Personen sehen, die gekommen waren, um sich nach seinem Befinden zu erkundigen.
    An diesem Morgen war er, es war höchstens acht Uhr, zu Fuß die Avenue du Bois de Boulogne herabgekommen, er hatte Zug um Zug diese wind- und sonnengetränkte Luft ein- und ausgeatmet, die Frauen folgten seiner rasch vorbeieilenden schönen Gestalt mit bewundernden Augen, auf deren Grunde für eine Sekunde die launische Lustigkeit dem Staunen Platz macht, um bald wieder ohne besondere Anstrengung den alten Ausdruck anzunehmen. Er kam schnell vorbei an galoppierenden, dampfenden Pferden, nun empfand er in seinem lebensgierigen Munde die frische, feuchte Berührung der milden Luft als tiefe Freude, wie sie an diesem Tage das ganze Leben, die Sonne, die Steine, den Westwind und die Bäume zu beseelen schien, die majestätisch aufgerichteten, menschengleich stolzen Bäume, die, gehüllt in ihre strahlend blinkende Starre, träumten wie schlummernde Frauen.
    In diesem Augenblick hatte er nach der Uhr gesehen, hatte sich umgewendet, und da … war es geschehen. In einer Sekunde hatte das Pferd, das er nicht bemerkt hatte, ihm beide Beine gebrochen. Das Zwangsläufige dieser Sekunde konnte er sich durchaus nicht erklären. Er hätte doch in eben derselben Minute ein wenig weiter fort sein können oder ein wenig näher, oder das Pferd hätte sich etwas wegwenden können, oder er wäre bei Regen etwas früher heimgekehrt, oder er hätte nicht auf die Uhr sehen und umkehren, sondern weitergehen sollen bis zum Wasserfall. Wohl waren alle diese Möglichkeiten da und daher auch die Möglichkeit, daß alles nur ein Traum war, aber es war reine Wirklichkeit, es hatte nun teil an seinem Dasein, sein Wille war wehrlos dagegen, konnte nicht das geringste ändern. Beide Beine gebrochen, der Unterleib verletzt. An sich war an dem Unglücksfall nichts so Außerordentliches. Er gedachte dessen, daß vor nicht mehr als acht Tagen beim Diner bei dem Doktor S. man sich über C. unterhalten hatte, der auf ähnliche Weise durch ein scheugewordenes Pferd zu Schaden gekommen war. Man fragte den Arzt, wie es ginge, und er antwortete: »Schlecht genug.« Honoré war weiter in ihn gedrungen, hatte sich nach der Wunde erkundigt, und der Arzt hatte mit wichtiger, pedantischer, trauriger Miene gesagt: »Es ist gar nicht die Verwundung allein, es ist alles zusammen. Die Kinder machen ihm Kummer, er ist nicht mehr in den Verhältnissen wie früher, die Angriffe in den Zeitungen haben ihm einen Stoß gegeben. Wollte Gott, daß ich mich irre, aber sein Zustand ist hoffnungslos.« Und das wird gesagt, während der Arzt sich persönlich in
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