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Tacheles

Tacheles

Titel: Tacheles
Autoren: Andreas Pittler
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unten auch schon das Geschrei und das Getrappel der Putschisten zu vernehmen war. Bronstein blickte nach unten und starrte in einige Karabiner. Hektisch drehte er sich wieder nach vorne und begann neuerlich zu laufen. Er kam keine zwei Meter weit, als ihn ein Amtsdiener beinahe niederrannte, der einen panisch wirkenden kleinen Mann mit sich führte, in dem Bronstein den Kanzler erkannte.
    „In die Richtung geht’s nicht weiter, da kommen die Nazis“, schrie Bronstein und fuchtelte dabei mit den Armen. Der Bürodiener und Dollfuß blieben verdutzt stehen.
    „Wos moch ma denn jetzt?“, stammelte der Kanzler beinahe tonlos.
    „Ah, nix, ondare Richtung“, gab der Amtsdiener vor, „durch des Zimmer da.“
    Die drei Personen durchquerten laufend den Raum und rüttelten an der gegenüberliegenden Tür. „So a Schas“, entfuhr es dem Beamten, „versperrt. Mir miassn z’ruck.“ Wie die beiden anderen drehte sich auch Bronstein um, als ein Trupp Aufständischer ebenfalls das Zimmer betrat. Deren Anführer hob die Pistole und drückte zweimal ab. Bronstein hörte neben sich den Kanzler leise aufschreien und dann wimmerndzusammenbrechen. Die Kleidung des Regierungschefs verfärbte sich augenblicklich rot.
    Bronstein gestand sich ein, vollkommen ratlos zu sein. Sein Ehrgefühl sagte ihm, er müsse sich zur Wehr setzen, müsse den verwundeten Kanzler verteidigen oder den toten zumindest rächen, doch angesichts der Waffe, in deren Lauf er starrte, hob er wie der Bürodiener einfach nur die Arme und ließ sich willenlos nach nebenan abführen, während ein paar andere Putschisten den halbtoten Dollfuß zurück in sein Büro schleiften.
    Man brachte Bronstein in die Säulenhalle, wo er sich mit dem Gesicht zur Wand aufstellen musste. Trotz der überaus realen Gefahr, in der er sich befand, konnte er sich ein Grinsen nicht verkneifen, als er erkannte, wer da neben ihm die Wand anatmete. Direkt neben ihm stand Sicherheitsminister Fey, einen Meter weiter schwitzte der zuständige Staatssekretär Karwinsky Blut und Wasser. Wenn er wirklich sterben musste, dann würde er dies in würdiger Gesellschaft tun, dachte Bronstein.
    Er wusste nicht, wie lange er schon so dagestanden war, als endlich Bewegung in die Bewacher kam. „Scheiße“, hörte er einen fluchen, „wir sind eingeschlossen. Was ist denn schiefgelaufen?“ Ein anderer beruhigte den ersten und meinte, es werde schon noch alles gut.
    „Ah, do schau her“, vernahm Bronstein plötzlich, und erstmals packte ihn die nackte Panik, „der saubere Herr Bronstein. So siacht ma si wieda.“ Bronstein wusste genau, das war Murer. Jetzt ging es für ihn wirklich um Leben oder Tod.
    „Eigentlich sollt i di jo okrageln, du Jud’nsau. Aber weilst so nett warst und uns so g’hoifen host, derfst no leb’n bleib’n, bis ma endgültig g’wonnen ham.“
    Bronstein versuchte, seine Ruhe wiederzufinden und hielt sich nach Möglichkeit bedeckt.
    „Du fragst di jetzt sicher, was mant der mit g’hoifen“, fuhr Murer fort. „Du Trottel host den Höller Meier g’mocht. WasBesser’s hätt uns gar net passieren können. Der Oasch woa nämlich der Spitzel von die Kriminesa.“
    Bronsteins Zittern wurde nahezu unkontrollierbar, doch seine Gedanken rasten darob umso wilder. Marek hatte ihm erzählt, sein Konfident hätte sich seit Montag Mittag nicht mehr bei ihm gemeldet. Es konnte gut sein, dass Höller derjenige gewesen war, der Marek die Informationen zugespielt hatte, und wenn dies der Wahrheit entsprach, dann hatte er, Bronstein, diesen Putsch durch sein Agieren mitverschuldet.
    „Aber wenn’s di beruhigt, er woar’s eh. Des mit dem Demand nämlich. Den hot wirklich er g’mocht, der Trottel. Aber des is jetzt aa wurscht. G’winnen mir, dann is er morgen hin, der Oasch. Und g’winn ma ned, daun hängt’s ihr eam irgendwaun auf. So oder so, der is hi, und es ist ka Schod um eam.“ Und nach einer kurzen Pause: „Und es is aa ka Schod um di.“
    Bronstein wagte nicht, nach hinten zu blicken, aber er hatte den Eindruck, als würde Murer mit einer Waffe auf ihn anlegen. Unwillkürlich biss Bronstein die Zähne zusammen und wartete auf das unausweichliche Ende.
    „Hobts es g’heat? Im Radio sog’n s’, da Rintelen is verhaftet.“
    In die Wachmannschaft kam Verwirrung, und auch Murer ließ seinen Arm sinken. „Haaßt des, mir hom verluan?“ Offenbar, so dachte Bronstein, spielte der ehemalige steirische Landeshauptmann eine besondere Rolle in der Ranküne der Nazis,
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