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Tacheles

Tacheles

Titel: Tacheles
Autoren: Andreas Pittler
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sah ein kleines Kaffeehaus schräg gegenüberder Turnhalle, das über einen Schanigarten verfügte. Er erkundigte sich beim Kellner, ob es im Lokal ein Telefon gebe, und nachdem dieser die Frage bejaht hatte, bestellte Bronstein passenderweise, wie ihm schien, einen kleinen Braunen, zündete sich eine Zigarette an und wartete ab.
    Er saß so schon eine Stunde, als plötzlich ein Lastwagen vorfuhr und gegenüber der Turnhalle parkte. Anscheinend, so dachte Bronstein, hatte sich die Regierung nun doch entschlossen, den Aufstand im Keim zu ersticken, denn der LKW trug die Insignien des Bundesheeres. Gleich darauf kam ein zweiter LKW angebraust, der gleichfalls den Beständen des Heeres zugehörig schien. Auf beiden Wägen befanden sich, soweit Bronstein das beurteilen konnte, etwa zwanzig bis dreißig Mann, allesamt Soldaten, und aus der nahe gelegenen Stiftskaserne kam ein dritter Zug mit einer ähnlichen Zahl an Soldaten. Bronstein hatte genug gesehen. Er ging in das Café und rief Marek an.
    „Marek? Hier ist alles in Ordnung. Nazis gibt es da weit und breit keine, dafür aber jede Menge Bundesheer. Der Zehner hat anscheinend schon einen Tipp gekriegt und entsprechend reagiert. Wenn sich hierher doch noch irgendein Nazi verirren sollte, dann läuft er in die Arme von hundert Soldaten.“
    Nun schien Marek beruhigt. Er erzählte Bronstein, dass Fey im Kanzleramt von der bevorstehenden Aktion berichtet und entsprechende Vorkehrungen getroffen habe. Kurz nach Mittag würde die Wache des BKA durch frische Truppen verstärkt, und dann sei das Gebäude praktisch uneinnehmbar. Außerdem habe Seydel die Polizei in erhöhte Alarmbereitschaft versetzt, die entsprechenden Einheiten warteten am Michaelerplatz auf weitere Instruktionen.
    „Na, dann passt ja alles. Ich glaube, ich kann wieder an meinen Schreibtisch zurückkehren. Was meinen Sie?“
    Marek stimmte Bronstein zu, und so verabschiedete man sich voneinander: „Man sieht sich bei Gelegenheit.“
    „Ja, unbedingt. Immerhin haben wir beinahe die Republik gerettet“, lachte Marek.
    „Sind wir das überhaupt noch?“, spöttelte Bronstein daraufhin. „Egal, was wir sind, aber nun sind wir’s auf jeden Fall auch noch morgen“, entgegnete Marek.
    „Genau. Auf bald.“
    Bronstein zahlte seine zwei Kaffee und trat dann wieder auf den Gehsteig. Eben fuhren die Armeelaster an ihm vorbei. Eigentlich achtete er nicht sonderlich auf sie, ebenso wenig, wie die Soldaten auf ihn achteten. Doch dann kam ihm plötzlich ein Gesicht bekannt vor. Er fasste es genauer in den Blick, und mit einem Mal war ein Zweifel nicht mehr möglich: Da saß Murer. Und direkt neben ihm Kotzler.
    Wieso konnten die da sitzen? Wurden die denn nicht mehr beschattet? Und wenn sie es denn waren, wie kamen die zum Heer? Oder war das am Ende gar kein Heer? Bronstein sah sich die Soldaten auf dem dritten Lastwagen genauer an und stellte rasch fest, dass die Adjustierung der Männer nicht stimmig war. Hier war etwas oberfaul, dachte sich Bronstein und ging nochmals ins Café zurück. Eilig wählte er nochmals Mareks Nummer.
    Doch der hob nicht mehr ab. Anscheinend hatte er seinen Posten bereits verlassen. Bronstein überlegte, was er nun tun sollte, und beschloss dann, die Verfolgung aufzunehmen. Er lief, so schnell es sein Körper vermochte, die Stiftgasse entlang zur Mariahilfer Straße, wo er ein Taxi anhielt: „Zum Kanzleramt“, keuchte er, während er sich im Fond niederließ. Der Wagen fuhr hinab zur Ringstraße und bog dort nach links ab. Kurz vor dem Burgtheater lenkte der Fahrer scharf nach rechts und landete so in der Löwelstraße, wo Bronstein erstmals wieder die drei LKW sehen konnte, die gleichfalls auf das BKA zuhielten. Bronstein forderte den Fahrer auf, Gas zu geben. Das Auto war noch nicht gänzlich zum Stillstandgekommen, als Bronstein dem Taxilenker den Fahrpreis in die Hand drückte und aus dem Wagen sprang. Eben fuhr der dritte LKW durch die Einfahrt des Kanzleramtes. Bronstein hielt seine Kokarde hoch, rief den Namen des Kommandanten der Wachstube und verschaffte sich so Zugang zum Gebäude. Der Stehposten wollte ihn zurückhalten, als auch schon die vermeintlichen Soldaten von den LKW sprangen und die Polizisten im Kanzleramt überwältigten. Bronstein tauchte instinktiv ab und kroch ins Stiegenhaus. Dort lief er in gebückter Haltung in den ersten Stock, wo er das Ministerratszimmer vermutete. Keuchend kam er am Treppenabsatz an, wo er einen Augenblick nur verharren wollte, als
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