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Tabu: Thriller

Tabu: Thriller

Titel: Tabu: Thriller
Autoren: Tom Egeland
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sehr gut, dass das einen wesentlichen Teil der Spannung ausmachte. Aber da war noch so viel mehr: die Form des Mediums… die Geschwindigkeit… Aktualität… Bildsprache… die Dramaturgie… diese intensive Nähe… und die unmittelbare Verbindung zu den Zuschauern. Die kommerziellen Sender hatten eine neue Medienepoche in Norwegen eingeleitet, an deren Entwicklung sie teilhaben wollte. Ihre Freundinnen lachten über sie. Für sie war die Fernsehbranche etwas Minderwertiges. Dabei lasen sie nicht einmal das Dagbladet . Aus Prinzip. Nicht dass ihre Meinung für Kristin eine Rolle spielte, sie traf sie ohnehin so gut wie nie mehr. Immer hatten sie einen giftigen Kommentar über ihre Arbeit auf den Lippen, und Kristin fragte sich, ob sie überhaupt noch irgendetwas mit ihnen gemeinsam hatte. Im Grunde waren sie eher Bekannte als Freunde. Die alte Schulclique aus Nissen. Eine Schar perfekter, eitler und ein bisschen radikaler Mädchen aus dem ach so vornehmen Westen des Landes. Stuck-Adel. Gut situierte Rotweinsozialisten. Besessen von Literatur, Psychologie und Sex. Musik und Film. Und Sex. Umweltschutz. Der Kluft zwischen Arm und Reich. Philosophie. Gleichstellung. Und Sex.
    Eigentlich nicht ihr Typ. Aber das begann sie erst jetzt so richtig einzusehen.
     
    Der Kunde spazierte eine Dreiviertelstunde später aus der Postfiliale.
    Eine Polizistin mit Pferdeschwanz schickte sich an, ihn unter dem rot-weißen Absperrband hindurchzulassen, das sie mit gespreizten Beinen und verschränkten Armen bewachte. Wie die Lemminge stürzte sich die Gruppe der Pressefotografen beinahe geschlossen in einen kleinen Busch, um den Kunden und die Polizistin auf ein Bild zu bekommen. Es klickte und summte, als sie das Absperrband anhob.
    Der junge, dünne Mann sah die Journalisten gleichermaßen erschreckt und erwartungsvoll an, als sie ihn umringten. Nein, er sei gar nicht erst dazu gekommen, Angst zu verspüren. Nein, »Held« sei wohl ein bisschen zu hoch gegriffen. Nein, verletzt sei er nicht, sein Kiefer schmerze bloß ein bisschen, aber das sei alles. Doch, er sei sich bewusst darüber, wie gefährlich es gewesen war, den Räuber anzugreifen, aber Sie wissen ja, wie das ist, he, he, he.
    Als die Zeitungsjournalisten fertig waren, zog Kristin ihn vor der Nase der TV2-Reporter weg. Sie sagte ihm, wer sie war, worauf er nervös lachte und sagte, das wisse er. Er würde jeden Dienstag und Donnerstag »24 Stunden!« gucken, denn danach käme immer FBI Inc .
    Er wich ihrem Blick hartnäckig aus.
    Sie ging ein Stück mit ihm über den Bürgersteig, damit Roffern das Interview mit der Postfiliale im Hintergrund filmen konnte. Während Roffern die Kamera bereit machte, plauderte Kristin mit dem jungen Mann, beruhigte ihn und machte ihn mit Mikrofon und Fernsehkamera vertraut.
    Er war kein guter Redner. Er stotterte, unterbrach sich selbst, führte seine Sätze nicht zu Ende und schaute immer wieder grinsend zu den imaginären Zuschauern hinter der Kamera. Erst nach zwanzig Minuten waren Kristin und Roffern einigermaßen zufrieden.

2
    »Eins dreißig, höchstens!«
    Toralf Skaug lehnte sich auf seinem wippenden Bürostuhl zurück und sah blinzelnd auf den Ablaufplan auf dem Bildschirm. Er hatte viele Spitznamen, Diktator, Serbe, Herrgott, aber er war der Chef vom Dienst. Ein untersetzter Mann mit schütteren Haaren, rasselndem Atem und Schweißflecken unter den Achseln. Kristin hatte ihn einmal als Modell für eine Reportage über Herzinfarkt benutzt.
    »Komm schon!«, nörgelte Kristin. Sie saß auf dem Rand des Layout-Tisches und wippte mit den Beinen. »Ich brauche mindestens zwei Minuten!«
    »Verdammt, Kristin, du bist nicht eingestellt worden, um Spielfilme zu drehen! Die Sendung ist zu voll!« Er tippte mit dem Zeigefinger auf den Bildschirm. »Naher Osten, Ärztekrise, der Mord in Tromsø, der ganze politische Scheiß!«
    »Dann musst du halt Prioritäten setzen«, gurrte sie zuckersüß.
    »Meine liebe Freundin«, äffte er sie ebenso zuckersüß nach, »genau das tue ich gerade.« Seine Stimme senkte sich wieder. »Eins dreißig! Und wir wollen dich bei der ersten Sendung gemeinsam mit Ninni im Studio haben.«
    Nina »Ninni« Nilsen war die feste Sprecherin der Achtzehn-Uhr-Sendung. Die Verantwortlichen ließen sie in der Regel einen der anderen TV-Reporter über ein aktuelles Thema interviewen. Sie meinten, die Sendung werde so etwas lebendiger, außerdem gab das den Reportern ein wenig der Autorität, die sie so dringend
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